Der Consul
schaute über das Fensterbrett hinaus. Berg kniete neben mir. Wieder ratterte es, kurze Stöße. Die RFB-Männer an der Barrikade duckten sich. Als das MG erneut loslegte, sah ich Staubfähnchen, wo die Kugeln einschlugen. In einer Feuerpause sprang ein Dutzend SA-Männer über die Barrikade, sie drängten sich zu den Kommunisten.
»Reichswehr«, sagte Berg. »Verdammt! Was haben die hier zu suchen? Wo kommen sie her? Die sollten doch nach Berlin.«
Der Mann mit der Zigarre fühlte sich nicht angesprochen.
Ein Rattern, es klirrte, Kugeln durchschlugen die Scheibe. Splitter fielen auf den Boden. Der Mann mit der Zigarre hatte kein Gesicht mehr, er lag auf dem Rücken, sein Körper stöhnte einmal tief, die Zigarre lag neben ihm. Berg sprang zur Tür, riss sie auf und lief hinaus. Ich stand auf und blickte vorsichtig um die Ecke in den Flur. Es war niemand zu sehen. Vom Hauseingang drangen Schreie herein. Am anderen Ende des Flurs sah ich eine Tür. Ich rannte hin und drückte die Klinke. Die Tür war verschlossen. Ich lief zurück ins Wohnzimmer und nahm das Seitengewehr vom Karabiner des toten Mannes. Dann hastete ich zurück zur Tür. Ich brach sie mit der Klinge auf. Sie führte in einen Hof. Eine Katze saß auf einer Mülltonne und maunzte. Eine rote Backsteinmauer mit einer Reihe aufgesetzter Dachziegel umgrenzte den Hof. In einer Ecke stand eine Zinnwanne mit einem Holzdeckel. Ich kletterte auf die Wanne und spähte über die Mauer. Der Hof grenzte an einen anderen Hof vor einem dreistöckigen Mietshaus. Es war niemand zu sehen. Das MG auf der Straße schoss wieder, dazwischen knallten Karabiner. Offenbar entwickelte sich ein Gefecht. Ich kletterte über die Mauer in den Nachbarhof und rannte zur Hintertür des Mietshauses. Sie war nicht abgeschlossen. Ich schnaufte und schwitzte, als ich im Flur des Hauses stand. Es dauerte einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Ich sah erst die Umrisse, dann die Frau. Sie lehnte sich ans Treppengeländer. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Ich spürte ihre Angst.
»Ich tue Ihnen nichts«, sagte ich. »Ich bin von der Polizei!«
Sie antwortete nicht. Draußen knallte es. Die Frau griff nach meinem Arm. Ihr Griff wurde fester, es tat weh. Ich spürte, wie sie zitterte. »Die bringen mich um«, zischte sie.
»Wohnen Sie hier?«
»Die bringen mich um.« Ihr Griff wurde noch fester.
Ich schlug ihr ins Gesicht. Sie erschrak, dann schaute sie mich verächtlich an, ließ meinen Arm los und stieg die Treppe hinauf. Sie drehte sich nicht um. Im Licht des Etagenfensters leuchteten ihre weißblonden Haare.
Ich öffnete die Haustür und schaute vorsichtig hinaus. Die Tür führte auf eine kleine Straße, es war niemand zu sehen, die Menschen hatten sich verkrochen. Das Schießen hatte aufgehört. Vorsichtig lief ich von Straßenecke zu Straßenecke in Richtung Barrikade. Dann standen sie plötzlich vor mir, zwei Soldaten richteten ihre Gewehre auf mich.
»Ausweis!« rief der eine.
Ich fummelte in meinem Jackett herum.
»Wird’s bald!«
Diesmal fand ich den Dienstausweis in der linken Seitentasche. Ich zeigte ihn dem Soldaten. Er nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn misstrauisch. »Aha, das sollen also Sie sein«, sagte er. Es klang eine Spur freundlicher. »Mitkommen!«
Sie nahmen mich in die Mitte und führten mich zur Rückseite der Barrikade. Dort standen RFB- und SA-Leute vor den Gewehren von Soldaten, die sie bewachten. Ein Sanitäter kümmerte sich um Verletzte. Auf dem Boden und auf der Barrikade lagen fünf Leichen. Ich sah Walter, er trug einen Verband um den Oberarm und einen um den Kopf. Er starrte mich böse an.
Die Soldaten brachten mich zu einem Leutnant. Er hatte ein Menjoubärtchen. Seinen Stahlhelm hatte er an das Koppel gehängt. Er besah sich meinen Ausweis und gab ihn mir zurück. »So, so, Herr Kommissar, Sie leben gefährlich.« Er grinste.
Ich schilderte ihm, dass ich nach Leipzig müsse, um in Mordfällen zu ermitteln.
Sein Grinsen wurde breiter. »Vielleicht sollten Sie andere Sorgen haben. Zum Beispiel um Ihr Leben. Es herrscht Krieg, auch wenn wir es nicht mit Helden zu tun haben.« Er zeigte auf die Gefangenen. »Ob braun, ob rot, bei denen ist Ihresgleichen nicht beliebt.«
»Sehen Sie den Mann mit dem Verband am Kopf?«
Der Leutnant blickte zu Berg.
»Das ist Walter Berg, war einer der tapfersten Kameraden im Feld«, sagte ich.
Der Leutnant schaute mich an, er zog die Augenbrauen in die Höhe, sagte aber
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