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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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nichts außer: »So, so!« Dann wandte er sich an seine Leute:
    »Abführen!«
    »Was geschieht mit ihnen?«
    »Standrecht«, sagte der Leutnant.
    Mir wurde flau im Magen.
    »Befehl des Reichspräsidenten«, sagte der Leutnant.
    »Lassen Sie Berg laufen«, erwiderte ich. »Er hat mir das Leben gerettet, nicht nur einmal.«
    Der Leutnant antwortete nicht.
    Ich kletterte über die halbfertige Barrikade und sah die Trümmer des Horch. Die Scheiben waren zerschossen, unter dem Wagen hatte sich eine Pfütze gesammelt aus Wasser und Öl. Zwei Reifen waren platt. Ich ging zurück zum Leutnant. »Ich muss nach Leipzig«, sagte ich.
    »Sie sind verrückt, Herr Kommissar«, sagte der Leutnant. »Jetzt verstehe ich, warum man Ihnen im Krieg dauernd das Leben retten musste.« Er lachte.
    Er winkte zwei Soldaten zu sich. »Gutmann, Sie kommen doch aus Leipzig?« fragte er den einen Soldaten, einen Gefreiten. Er war klein und drahtig. Der lässig über die Schulter gehängte Karabiner schleifte fast auf dem Boden.
    »Jawohl, Herr Leutnant, da kenn ich mich aus.«
    »Bringen Sie diesen Herrn nach Leipzig, ohne Perforation, wenn es möglich ist. Unterwegs sollten Sie einer offenen Feldschlacht aus dem Weg gehen. Nehmen Sie Meier mit.« Der Mann erfreute sich an seiner Resignation. »Wohin in Leipzig?« fragte er mich.
    »Zum Reichsgericht«, sagte ich.
    »Wenn die Kommune es nicht längst in ein Volkstribunal umgewandelt hat. Oder die Nazis. In München und Bamberg haben die Braunen Gefängnisse gestürmt und die einsitzenden Kommunisten erschossen.«
    Ich fror. Und wenn das in Leipzig auch geschah?
    Der Leutnant lachte. »Vielleicht kommen Sie gerade pünktlich zu Ihrer Verurteilung. Wie hätten Sie es denn gerne? Strang, Fallbeil, Erschießungskommando?« Sein Lachen wurde lauter. Ich hatte den Eindruck, er stellte sich vor, wie ich am Galgen baumelte. Er wandte sich an die beiden Soldaten. »Passen Sie gut auf diesen Helden der Kriminalistik auf. Liefern Sie ihn ab, und kehren Sie sofort hierher zurück.« Der andere Soldat hatte ein Bauerngesicht, er verzog keine Miene. Die beiden salutierten und gingen voraus zu einem Wagen. Gutmann zeigte auf den Beifahrersitz und klemmte sich hinters Steuer. Meier setzte sich hinter mich, den Karabiner stellte er zwischen die Beine.
     

VI.
    A uf den Straßen war nicht viel los. Wir sahen keine Bürgerkriegstruppen. Kurz vor Delitzsch überholten wir eine Reichswehrkolonne. Die Soldaten trugen Stahlhelme, in den MGs auf den Wagen steckten Patronengurte. Der Gefreite am Steuer überholte und setzte sich neben einen Reichswehrlaster. »Wohin?« brüllte er hinüber. »Ins Paradies«, rief ein Kamerad aus dem Führerhaus des Lasters durchs offene Fenster zurück. »Idiot!« antwortete der Gefreite und beschleunigte. »Die fahren nach Leipzig«, sagte der Gefreite zu mir, »wohin denn sonst?«
    Ich fror, kalte Luft zog durch den Wagen. Das Verdeck schloss nicht dicht. Gutmann rauchte eine Zigarette nach der anderen. Meier saß unbeweglich, den Karabiner zwischen den Beinen. Er sagte nichts. Ich hoffte, er beobachtete das Umfeld, damit wir fliehen konnten, wenn Gefahr drohte.
    Wir schwiegen fast während der gesamten Fahrt. Ich dachte an Walter Berg. Ob er überleben würde? Ich hatte mit ihm mehr als zwei Jahre im Graben gelegen. Er hatte nie die Nerven verloren, und ich hoffte, er hatte es nicht gesehen, wenn die Angst mich fertig machte. Im Trommelfeuer oder vor Angriffen suchte er meine Nähe. Vielleicht glaubte er mich beschützen zu müssen. Vielleicht versprach er sich aber auch mehr Sicherheit, wenn er sich an mich hielt. Ich hatte ihn nie gefragt. Rübezahl war nicht weniger furchtlos gewesen als Berg, aber er blieb eher auf Distanz. Damals war unsere Welt klein und einfach gewesen. Heute verstand ich nichts mehr. Berg hatte sich wieder eine kleine Welt geschaffen. Er kämpfte für das Vaterland aller Werktätigen, und wer gegen die Sowjetunion war, war sein Feind. Vielleicht hatten sie ihn schon erschossen. Hätte ich mehr für ihn tun können? Ich quälte mein Hirn, ich fand nichts. Hatte er mich nicht gefangengenommen?
    Und doch blieb ich unruhig, war ich bereit, mir Versagen vorzuwerfen.
    Auf Kopfsteinpflaster über Wiederitzsch nach Leipzig hinein. Der Gefreite fuhr sicher und zielstrebig. Uns begegneten einige Fahrzeuge. Niemand schien in unserer Richtung zu fahren. Wir überquerten eine große Kreuzung, plötzlich standen wir vor einer Straßensperre. Reichswehr. Sie hatten mit

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