Der Consul
Lastwagen eine Straßenschleuse gebaut. Man konnte sie nur passieren, wenn man eine enge Schlangenlinie fuhr. Ein Doppelposten hielt uns an, an den Seiten erkannte ich ein MG und Soldaten mit Gewehren im Anschlag. Sie zielten auf uns. Der Gefreite zog eine Mappe aus dem Handschuhfach und gab sie dem Posten. Der betrachtete die Papiere genau. Der Gefreite erklärte kurz, wer wir waren und wohin wir wollten. Ich wurde unruhig, hoffte, dass sich nicht versehentlich ein Schuss löste.
Ein Mercedes-Benz passierte die Straßensperre in der Gegenrichtung. Er quetschte sich an uns vorbei. Ich erkannte Mann, Frau, zwei Kinder und eine Menge Gepäck. Der Mann saß am Steuer und starrte böse auf die Fahrbahn. Die Frau neben ihm hielt ein Taschentuch vor den Augen. Der Posten, der unsere Papiere prüfte, beachtete den Mercedes nicht. Er klappte die Mappe zu. »Ich würde da nicht hineinfahren, Kamerad!« sagte er. Er hatte die Stimme eines Jungen. Sie passte nicht zu den Falten in seinem Gesicht. Der Gefreite wandte sich zu mir und schaute mich an. Ich spürte die Angst und fragte den Posten: »Was gibt’s?« Ich hoffte, er würde das Zittern in meiner Stimme nicht hören.
Der Posten schaute mich gleichgültig an. »Da drinnen wird geschossen!« Er deutete kurz mit der Hand in Richtung Stadtzentrum.
»Wer schießt auf wen?« fragte ich.
Der Posten guckte mich an, als wäre ich begriffsstutzig. »Na, die Kommune auf die Nazis und alle gemeinsam auf den Stahlhelm. Und der Stahlhelm ballert zurück. Jedenfalls war es vorhin noch so. Und wenn die Helden vom Reichsbanner wieder aus den Kellern kommen, geben die vielleicht auch gute Ziele ab.« Es klang so, als erklärte er einem Kind das Klötzchenspiel.
»Und warum greifen Sie nicht ein?« fragte ich.
Er zuckte mit den Achseln. »Wir schießen nicht ohne Befehl.« Ich sah ein kurzes Grinsen in seinem Gesicht. Ihm gefiel die Vorstellung, die Bürgerkriegsarmeen schwächten sich gegenseitig. Vielleicht war dies Schleichers Plan, am Ende brauchte die Reichswehr nur die Reste wegzuräumen. Aber natürlich wusste ein Straßenposten in Leipzig nichts von Schleichers Absichten. »Wir können Ihnen keine Verstärkung mitgeben«, sagte der Posten. Anscheinend konnte er es sich nicht vorstellen, dass wir zu dritt in die Stadt fuhren. »Glaube ich jedenfalls, fragen Sie mal unseren Leutnant.« Er schickte seinen Kameraden mit einem Fingerzeig hinter einen Lastwagen in der Schleuse. Der kam zurück mit einem Leutnant. Der Offizier legte seine Hand lässig an den Rand des Stahlhelms.
Mein Fahrer salutierte und meldete: »Wir müssen zum Reichsgericht. Der Herr Kommissar hat dort einen wichtigen Auftrag zu erledigen. Es eilt.«
Der Leutnant lachte auf. »Glaube ich ja. Und Verstärkung? Vielleicht eine Begleitkompanie? Mir wär’s egal. Aber wir sind unterbesetzt. Und ich kenne keinen Auftrag, der es rechtfertigen würde, sich den Kopf wegschießen zu lassen. Nicht einmal den eines Polizisten.«
Es passte eines nicht zum anderen. Einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, ihm eine runterzuhauen. Mich überraschte der Hass, der mir entgegenschlug. Der Gefreite blickte mich ratsuchend an. Ich sagte nur: »Weiterfahren!«
Der Gefreite schüttelte ungläubig den Kopf und fuhr los.
Wir hörten das Schießen schon von weitem. Hell die Gewehrschüsse, das Geratter der Maschinengewehre. Dazwischen, laut und trocken, zwei oder drei Kanonen. »Feldgeschütz sieben Komma zwo Zentimeter«, sagte Gutmann. »Haut schwer was weg. Die Frage ist, wer schießt mit den Dingern?« Der Gefreite hielt an. »Das ist so was wie eine offene Feldschlacht«, sagte er. Er schaute mich an, als erwartete er eine Antwort auf eine Frage.
Ich blickte mich kurz um zu Meier. Er tat so, als ginge ihn das alles nichts an. Er hielt seinen Karabiner zwischen den Beinen und starrte irgendwohin.
»Das Reichsgericht liegt nicht im Zentrum«, sagte ich.
»Richtig«, sagte Gutmann. »Vielleicht haben wir eine Chance, wenn wir einen Umweg fahren. Ihr Auftrag ist wirklich unaufschiebbar?«
Gutmann schaute mich an, vielleicht zweifelte er an meinem Verstand.
Sofia Schmolls Gesicht bei ihrer Vernehmung in Erfurt. Sie hatte traurig ausgesehen, wie jemand, der gerade erst zu begreifen begann, auf was er sich eingelassen hatte. Sie war unschuldig, ich durfte sie nicht in die Hände von Nazis fallen lassen. Ich spürte meine Erschöpfung und wie mein Widerstand wich gegen das Eingeständnis, das längst fällig war. Ich
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