Der Consul
einem Messer zwischen den Rippen und Mein Kampf auf dem Bauch. Die Reinemachefrau hat ihn gefunden.«
Ich glaubte erst, ihn nicht zu verstehen. Und irgendwie war es mir egal. Ich wollte schlafen. »Dann fahren wir hin«, sagte ich. »Wo ist es?«
»In der Nähe des Reichstags, es ist seine Abgeordnetenwohnung.«
*
Strasser wohnte in der Schumannstraße, gegenüber dem Deutschen Theater. Ein Paternoster brachte uns in den dritten Stock. Die Kollegen der Mordkommission sicherten Spuren, der Fotograf schleppte seinen Apparat durch den Flur. Wegner kam aus einer Tür, grüßte und sagte:
»Eine Riesensauerei, Herr Kommissar.«
Die Leiche lag im Wohnzimmer auf einem Teppich, daneben stand ein kleiner Tisch mit zwei Sesseln. In einer Vitrine an der Wand sah ich Gläser und ein paar Bücher. Auf dem Tisch erkannte ich die Titelseite des Angriffs. Strasser lag in einer Blutlache. Der Griff und ein Teil der Klinge eines Seitengewehrs ragten aus seiner Brust heraus, er war ins Herz getroffen. Ich sah es gleich, ein Stich, und er war tot gewesen. Neben der Einstichstelle lag Mein Kampf. Ich hatte das Buch nie gelesen, vielleicht musste ich es jetzt tun. Das linke Bein war abgespreizt und gebeugt.
Mir fiel auf, wie groß und kräftig gebaut dieser Mann war. Er hatte im Reichstag Furore gemacht, galt als so etwas wie ein linker Nazi, aber auch als kompromissbereit. Er hasste die Juden, wie alle Nazis, und nicht nur die. Und er war Arbeitsminister der Regierung Schleicher gewesen. In seiner Ministerwohnung wäre er besser geschützt gewesen als hier. Womöglich hatte er keinen Anschlag befürchtet. Warum, verdammt, lag Hitlers Buch neben dem Einstich? War es eine Botschaft? Wenn ja, was sollte sie sagen? Und wem? War es ein Ablenkungsmanöver?
Ich winkte Wohlfeld zu mir. »Gehen wir in den Flur, wir stehen den Kollegen nur im Weg. Was meinen Sie, was bedeutet es, dass Mein Kampf da liegt?«
Wohlfeld starrte auf den Boden. »Vielleicht, dass der oder die Täter mitteilen wollen, Strasser habe sterben müssen, weil er Hitler treu ergeben war, trotz aller Gerüchte, die man in den Zeitungen las über Hitler als Schreier und Strasser als seinen gemäßigten Konkurrenten.«
»Und wem wollte der Täter es mitteilen?«
Wohlfeld schaute mich ratlos an.
»Uns bestimmt nicht. Wenn der Täter uns meint, dann ist es eher eine Finte. Oder doch nicht? Wenn er für die anderen Morde ebenfalls verantwortlich ist, dann zeigt sich eine Verbindung. Röhm mit dem Penis im Mund, das spielt an auf seine Männergeschichten. Goebbels mit einem Lappen im Mund, das verweist auf sein großes Maul oder seine Rednergabe, wie immer man es bewerten mag. Und Hitler? Der passt nicht in die Reihe.«
»Aber die Goethestatuette?«
»Gewiss, mag sein. Aber mir kommt es vor, als hätte der Täter bloß danach gegriffen, weil sie gerade da stand.«
Wohlfeld nickte.
»Bedenken Sie, wie der Täter auf Hitler eingeschlagen hat. Der hatte eine Wut auf ihn. Die anderen Morde dagegen erscheinen kühl geplant. Diese Taten haben einen Witz!«
Wohlfeld schaute mich erstaunt an.
»Ja, einen Witz. Vielleicht war Strasser zu hitlergläubig? Vielleicht war jemand enttäuscht von ihm. Vielleicht erwartete dieser Jemand eine Wende in der Nazipolitik.«
»Oder er bezichtigte Strasser doch des Verrats, also das Gegenteil von Hitlergläubigkeit«, sagte Wohlfeld.
Er hatte recht. Es war jedenfalls die beste Erklärung für das Buch auf Strassers Brust. »Gut, Herr Kriminalassistent«, sagte ich.
Er lächelte stolz.
»Die Zeichen verraten uns in der Tat einiges, aber es ist nicht eindeutig.«
Die Sargträger erschienen, wir mussten ins Treppenhaus ausweichen. Da fiel mir etwas ein. »Noch nicht wegbringen!« rief ich. Ich ging noch einmal ins Wohnzimmer, Wohlfeld folgte mir.
»Sind Sie fertig?« fragte ich Wegner im Wohnzimmer.
»Noch nicht ganz, wir suchen noch nach Fingerabdrücken.«
»Warten Sie damit eine Viertelstunde und lassen Sie Herrn Wohlfeld und mich allein.«
Wegner und zwei Mitarbeiter verließen das Wohnzimmer und schlossen die Tür. Wohlfeld stellte sich neben die Tür und schaute mir zu. Er wusste, er durfte jetzt eine Weile nichts sagen.
»Es ist ein Seitengewehr, wie wir sie im Krieg hatten, lang, spitz, einigermaßen scharf, eine ideale Waffe, um jemanden aufzuspießen. Es ist lang, aber man braucht nicht viel Kraft, um es in einen Menschen hineinzustoßen. Wer benutzt ein Seitengewehr? Ein ehemaliger Soldat oder einer von der Reichswehr.
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