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Der Countdown

Der Countdown

Titel: Der Countdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Mofina
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nicht erloschen ist.
    “Hat jemand an die Konsequenzen gedacht, die eine Absage des ersten Papstbesuches in der Geschichte dieses Bundesstaates mit sich bringen würde?”, fragte der Schuldirektor. “Denken Sie an all die Vorbereitungen, die Unterbringung von Reisegruppen, die Buchungen der Motelzimmer – von Great Falls bis nach Billings, Lewistown, Miles City, und sogar bis hinein nach North Dakota. Allein die Kosten, die durch unsere Ankündigung entstanden sind. Ganz zu schweigen von all den Sicherheitschecks, denen jeder von uns bereits unterzogen wurde. Und dann der Chor … Meine Güte, die Kinder haben in den letzten Monaten doch so hart gearbeitet.”
    Als Stone das Nicken reihum am Tisch sah, hielt er sich lieber aus der Diskussion heraus.
    “Zu diesem Zeitpunkt liegt die Entscheidung nicht bei uns”, sagte der Beamte vom Secret Service.
    “Ja, das ist richtig”, bestätigte sofort der Priester vom Heiligen Stuhl. “Wir müssen geduldig die endgültige Entscheidung des Vatikans abwarten.”

19. KAPITEL
    C old Butte, Lone Tree County, Montana
    Logans Gesicht wurde rot.
    Jeder hielt inne, um ihn anzustarren.
    Man hätte eine Stecknadel auf den Boden der Sporthalle fallen hören, in der fünfzig Schüler aller Altersstufen sich zu dem Kinderchor versammelt hatten, der beim bevorstehenden Papstbesuch singen sollte.
    Chorleiterin Sobil Mounce-Bazley schlug mit dem Taktstock auf den Notenständer. Das Flüstern verstummte. Notenblätter raschelten, irgendjemand hustete, doch niemand wagte es, etwas zu sagen. In der Stille glitt Sobil mit ihrem Finger über die Liste vor ihr, bis sie zu dem gesuchten Namen gelangte.
    Nummer 27. Altstimme. Neun Jahre alt.
    “Logan Russell?”
    “Ja.”
    “Sie waren einen Takt zu spät dran, junger Mann. Sie haben die ganze Gruppe aus dem Rhythmus gebracht.”
    “Ist mir egal.”
    Stahlblaue Augen blickten Logan über die Gleitsichtbrille eisig an.
    Jemand hustete. Ein anderer unterdrückte ein Kichern.
    “Logan Russell, Sie werden mir nach der Probe noch etwas Gesellschaft leisten.”
    Sobil Mounce-Bazley war das, was man gemeinhin eine alte Jungfer nennt. Aber sie war auch eine anerkannt gute Chorleiterin, die schon mit Kinderchören in London und New York gearbeitet hatte, bevor sie sich auf die Ranch ihres Bruders, in der Nähe von Cold Butte, zurückzog. Als sich die Nachricht von dem Papstbesuch verbreitete, akzeptierte sie die Einladung der Schule, einen Chor zu bilden und zu leiten, der für den Heiligen Vater singen würde.
    Musik war ihr Leben, Perfektion ihr Anspruch. Doch heute lief es gar nicht so gut. Nummer 27, der liebliche Altist, strapazierte ihre Geduld.
    “Möchten Sie mir sagen, wo Ihr Problem liegt, Mr. Russell?”, fragte sie ihn, nach dem alle den Raum verlassen hatten.
    Er antwortete nicht.
    “Ich bin sicher, Sie haben schon
ad nauseam
gehört, dass man nur einmal im Leben die Chance bekommt, vor dem Papst zu singen.”
    “Ich vermisse meine Mutter.”
    “Wo hält sie sich derzeit auf?”
    “In Kalifornien. Meine Mom und mein Dad haben sich so was wie getrennt, und ich bin mit meinem Dad und seiner neuen Freundin hierhergezogen.”
    “Das mag hart sein, ist aber keine Entschuldigung für Unhöflichkeit.”
    Während ihrer Zeit in London und New York hatte Sobil mit Kindern gearbeitet, deren Eltern ermordet oder deren jüngere Geschwister von cracksüchtigen Verwandten verkauft worden waren. Sich wegen einer Scheidung so aufzuführen, fand sie reichlich übertrieben.
    “Ich will nicht weiter in Sie dringen. Und ich werde heute ausnahmsweise nachsichtig mit Ihnen sein. Aber achten Sie auf Ihre Manieren. Üben Sie Ihren Text und beachten Sie das richtige Tempo. Wenn Sie sich bis zum Ende der Woche nicht deutlich verbessern können, habe ich für Sie keinen Platz mehr in meinem Chor. Haben Sie das verstanden?”
    Das hatte er.
    Im Schulbus lehnte Logan seine Stirn ans Fenster und sah zu, wie die Schatten der Wolken über endlose leere Graslandschaften jagten.
    Niemals in seinem kurzen Leben hatte er sich so allein gefühlt. Tränen stiegen ihm in die Augen.
    Logan Russell
.
    Russell war gelogen. Er hieß Logan Conlin.
    Er wusste nicht einmal mehr, wer er wirklich war.
    Und er verstand nichts mehr. Seit sein Dad in den Irak gegangen war, schien nichts mehr richtig zu sein. Sein Dad sprach nicht darüber, was mit ihm dort drüben geschehen war. Doch seit er zurückgekehrt war, verhielt er sich merkwürdig. Verändert. Er hatte Kopfschmerzen,

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