Der Countdown

Kalifornien hinter sich zu lassen.
    Er umklammerte das Lenkrad fester.
    Eine weitere Migräne-Attacke überkam ihn wie ein richtiger Rammbock. Er nahm rasch zwei Tabletten, bevor er über die Great Plains bis zur Bergkette der Bitterroots blickte und sich selbst beschwichtigte, dass der Umzug hierher kein Fehler gewesen war.
    Samara hatte ihm das Leben gerettet.
    So einfach war das.
    Doch Maggie war seine Frau. Gemeinsam hatten sie Logan bekommen, hatten sie ein gemeinsames Leben geführt.
    Wie war ihnen das alles bloß so schnell entglitten?
    Jake blinzelte, während die Straßenmarkierungen ebenso an ihm vorüberflogen wie die Erinnerungen. Wie er Maggie in der Highschool kennenlernte. Wie sie zusammen in der Sporthalle tanzten. Wie beide mit seinem alten Ford Pick-up zum Strand fuhren. Wie sie sich stundenlang angeregt unterhielten. Zwei einsame Menschen, die zusammengehörten. Sie brachte ihn sogar dazu, Bücher zu lesen. Er mochte die düsteren Geschichten von Joseph Conrad. Und er brachte ihr im Gegenzug das Lkw-Fahren bei, auch wenn es ihm ein- oder zweimal ein leichtes Schleudertrauma einbrachte.
    Sie hatten gemeinsame Träume.
    Sie heirateten.
    Oh Mann, war er glücklich gewesen. Dann kam Logan, und das Leben wurde sogar noch besser. Jake fühlte sich wie Hans im Glück und ging ein kalkuliertes Risiko ein, indem er einen Kredit für einen größeren Sattelschlepper aufnahm, um dadurch mehr verdienen zu können. Auf einer Tour nach Taos, New Mexico, versagte sein Getriebe zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt – nämlich als sein Konto überzogen war. Es kostete ihn diverse Aufträge und aufwendige Reparaturen. Die Spritpreise zogen an. Die Rechnungen stapelten sich. Er war mit den Kredit- und den Hypothekenzahlungen im Rückstand.
    Das alles hätte ihn beinahe verzweifeln lassen.
    Der einzige Ausweg bot sich ihm in Gestalt eines Vertrages als Konvoifahrer im Irak. Das war riskant. Menschen kamen dabei ums Leben. Doch sie brauchten das Geld. Also hatte er sein Leben aufs Spiel gesetzt.
    Und dann ging alles den Bach hinunter …
    Es begann mit dem Hinterhalt.
    Er sprach mit niemandem darüber. Erzählte Maggie nie, was eigentlich geschehen war. Verdammt, es allein Logan gegenüber zu erwähnen war ihm schwer genug gefallen.
    Der Hinterhalt.
    Denk nicht daran. Hör auf.
    In seinem Kopf hämmerte es, als würde ihm eine Schlagbohrmaschine ins Gehirn getrieben.
    Hör auf
.
    In Ordnung. Bleib ruhig. Halte durch.
    Der Ärger begann, nachdem er aus dem Irak zurückkehrte. An jenem Tag, als sie im Supermarkt Logans Fußballtrainer Ullman über den Weg liefen. Er war ein gut aussehender Typ. Mit College-Abschluss. Klug. Lässig. Jake hatte gehört, in welchem Tonfall die anderen Mütter von ihm erzählten.
    Es war die Art, wie Maggie Ullman anlächelte.
    Er hatte sie niemals zuvor so lächeln gesehen.
    In dem Moment wusste es Jake.
    Sie hatte ihn mit Ullman betrogen.
    Maggie leugnete es. Doch er war davon überzeugt. Er war sich noch niemals zuvor so sicher über irgendetwas gewesen.
    Aber wusste er es wirklich?
    Nun, da er zu den schroffen Felsgipfeln blickte, fragte er sich, ob er sich hinsichtlich Maggie und Ullman vielleicht doch geirrt hatte. Fragte sich, ob er selbst das eigentliche Problem darstellte, ob er seit dem Hinterhalt nie mehr der Alte war.
    Pop-pop!
    Jakes Herz machte einen Satz. Das Geräusch ließ ihn in seinem Sitz zusammenzucken. Ein Gruppe Motorradfahrer zog auf ihren knatternden Maschinen an ihm vorüber.
    Pop-pop!
    Sein Kopf schmerzte, als würde er in einem Schraubstock stecken.
    Halt an. Halt an.
    Pop-pop!
    Die Geräusche durchschnitten die Luft und seinen Schädel. Er schaltete herunter, fuhr an den Straßenrand und bremste. Staub stieg auf und hüllte ihn ein.
    Er schloss die Augen.
    Pop-pop!
    Jake presste die Hände an seinen Kopf, der zu zerplatzen drohte, während der Staub aufwirbelte und ihn zusätzlich zu ersticken drohte. Es war zwecklos …
    … er wurde zurückgerissen …
    Bitte. Hör einfach auf. Bitte
…
    … zurückgerissen in den Irak.

21. KAPITEL
    I m Grenzland hinter Tal Afar, Irak, nahe der syrischen Grenze
    Das ist nicht gut …
    Sein Lastzug rollt langsam über einen belebten Markt. Vor etwa fünf Meilen wurden sie von dem großen Konvoi und der bewaffneten Eskorte abgeschnitten.
    Sein Funkgerät knackt.
    “
Legt eure Schutzwesten an!”
    Jake hat ein übles Gefühl. Sie gehören zu einem Konvoi mit zwanzig Trucks, die Nachschub zu einem Kommando-Unternehmen an der