Der Coup von Marseille
unterschiedlichen Ausmaß an Ungeduld, bei Laune gehalten von einem Streichquartett, das in der langen Galerie Mozart spielte.
Elena und Sam stellten sich hinten an und warfen einen Blick auf die anderen Gäste, die sich schrittweise vorwärtsbewegten. In der Mehrzahl handelte es sich um Geschäftsleute aus Marseille mit Ehegespons, sonnengebräunt und in heiterer Stimmung, was dem stimulierenden Pastis geschuldet war. Darüber hinaus erspähten sie ein paar Bürokraten, die im Süden zu Besuch weilten und durch ihre nördliche Blässe auffielen, ein Dreimannteam von einem lokalen Fernsehsender, ein oder zwei stylische Paare – vermutlich Freunde von Patrimonio – und einen Pressefotografen. Von Philippe, dem Journalisten, der auch einen Blick auf die Modelle werfen sollte, war weit und breit keine Spur zu entdecken.
Sam sichtete Caroline Dumas, ausgesprochen chic in dunkelgrauer Seide und mit Handy am Ohr. Ihre Blicke trafen sich. Sam nickte. Madame Dumas runzelte die Stirn. »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es sich bei der Dame nicht gerade um eine Verehrerin von dir handelt«, ließ sich Elena vernehmen. »Wer ist sie?«
»Madame Dumas von der Konkurrenz. Aus Paris. Schau mal, ob du irgendwo Lord Wapping entdeckst, den englischen Gegenspieler.«
»Wie sieht er aus?«
»Typisch englisch, nehme ich an. Nadelstreifenanzug mit kugelsicherer Weste, protzige Krawatte, gute Schuhe, schlechte Zähne – halt, warte. Das müsste er sein. Der Kerl da drüben, mit der Blondine.«
Sams Mutmaßung wurde durch wieherndes Gelächter und eine polternde englische Stimme bestätigt. »Na und, er hat es herausgefordert, oder? Dieser Volltrottel!« Der Sprecher schüttelte den Kopf und blickte auf seine Uhr. »Wenn Jérôme nicht bald in die Gänge kommt, stehen wir noch die ganze Nacht hier herum.«
Der Lord befand sich in Begleitung von Annabel in ihrem sogenannten KL, dem kleinen Schwarzen, und einem anderen Paar. Der Mann hätte Wappings jüngerer Bruder sein können – er sah genauso aus wie er, klein, rotgesichtig und kompakt. Beide trugen excellent geschnittene Anzüge, die ihre Leibesfülle beinahe kaschierten. Das vierte Mitglied der Gruppe, das die anderen um gute zwölf bis fünfzehn Zentimeter überragte, war eine amazonenhafte junge Frau von außergewöhnlicher Schönheit, die dank eines kurzen silberfarbenen Fummels auch sehr großzügig zur Schau gestellt wurde.
»Sie sieht nicht englisch aus«, sagte Sam.
»Sie sieht nicht real aus«, erwiderte Elena naserümpfend.
Plötzlich ging ein Ruck durch die Schlange der Wartenden, alle machten einen Schritt vorwärts, und es dauerte nur noch wenige Minuten, bis sie von ihrem Gastgeber begrüßt wurden. Jérôme Patrimonio hatte sich zu diesem Zweck umgezogen und einen kittfarbigen Leinenanzug gewählt, zu dem die rot-gold gestreifte Krawatte, normalerweise den Mitgliedern des Londoner Marylebone Cricket Club vorbehalten, einen munteren Kontrast bildete. Sam konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass seit dem Vormittag eine weitere großzügig bemessene Dosis Aftershave zur Anwendung gekommen war.
»Monsieur Levitt, wenn ich recht informiert bin. Sehr erfreut. Und wen haben wir da?« Er ergriff Elenas Hand, als hätte er nicht die Absicht, sie jemals zurückzugeben, und beugte sich, ohne Sams Antwort abzuwarten, darüber, um sie zu küssen.
»Elena Morales«, erwiderte Sam. »Das ist ihr erster Besuch in der Provence.«
»Ah, Mademoiselle. Machen Sie mich zu einem glücklichen Mann. Bleiben Sie für immer.«
Patrimonio, Ritterlichkeit aus jeder Pore verströmend, gab nach geraumer Zeit ihre Hand frei. Elena schenkte ihm ein Lächeln. Er rückte seine rot-goldene Krawatte zurecht und glättete sein Haar.
»Nun, du hast ihn offensichtlich schwer beeindruckt«, sagte Sam, als sie die Kapelle betraten und sich in Richtung Bar bewegten. »Ich dachte schon, dass er dich gleich zum Tanz auf fordert. Irgendwie erinnert mich der Bursche an unsere Abiturientenbälle.«
Elena schüttelte den Kopf. »Ich mache mir nichts aus Män nern, die mehr Parfum tragen als ich. An die Handküsse könnte ich mich jedoch gewöhnen.«
»Ich verspreche dir, ich werde üben.« Er gab dem Barkeeper ein Zeichen. »Was möchtest du trinken?«
»Champagner! Darf ein Mädchen nie ablehnen, hat mein Papa mir beigebracht.« Elena blickte sich in der Kapelle um – sah die Alkoven mit den anmutigen Rundbögen und Marmorstatuen, die sie ringsum säumten, die meisterhaften
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