Der Coup von Marseille
Landung würde jeden Menschen ausbremsen.
»Ich sag dir was, Bri …« Dave nannte seinen Kumpel tatsächlich Bri, und es klang, als solle ein alter Gaul zum Stehen gebracht werden. »Für mich sieht das nach einem Bikerjob aus: Wir nehmen ihn in die Zange, ein Motorrad vor ihm, eines hinter ihm. Sturzhelme, damit niemand unsere Gesichter erkennt. Alles paletti.« Brian nickte in weiser Voraussicht. Die organisatorischen Einzelheiten pflegte er Dave zu überlassen, er war zufrieden, wenn er sich ganz und gar auf die physischen Aspekte des Auftrags konzentrieren durfte. Dieses Mal konnte er jedoch nicht umhin, seinen Spießgesellen auf eine Kleinigkeit aufmerksam zu machen, die sich als Problem erweisen könnte.
»Wir haben keine Motorräder.«
»Die lassen wir mitgehen, Bri. Her damit und ab durch die Mitte. Wir werden die Lage peilen, sobald wir wieder auf der Straße sind. Da stehen doch überall Motorräder rum. Bei manchen hängen sogar die Helme am Lenker. Oder sie sind im Koffer hinter dem Sitz verstaut, und den könnte meine alte Mum mit der Nagelfeile knacken.«
Brian nickte abermals. Das gefiel ihm an der Zusammenarbeit mit Dave: Er hatte alles im Griff, sogar die Kleinigkeiten. Inzwischen war Brians Bier warm genug, um trinkbar zu sein. Während er vorsichtig probierte, dachte er sehnsüchtig an etwas Herzhaftes zum Bier – eine deftige englische Schweinefleischpastete, wie man sie in seinem Londoner Lieblings pub servierte, The Mother’s Ruin in Stepney. Natürlich hatten die Froschfresser keinen blassen Schimmer von den Feinheiten der Küche. Bei dem Fraß, den sie auftischten, war es ein Wunder, dass es ihnen gelang, Leib und Seele zusammenzuhalten. Schnecken, pfui Teufel. Pferdefleisch. Ihn schauderte.
»Was meinst du, wann sollen wir zuschlagen?«
Dave nahm einen weiteren Schluck Bier und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Am besten nach Feierabend, wenn der Typ aus seinem Bau herauskommt und zum Essen fährt. Sobald es dunkel ist.«
Sie verließen den sogenannten Pub und kehrten zum Lieferwagen zurück, wobei sie von Zeit zu Zeit stehen blieben, um unauffällig die Reihe der zur Schau gestellten Motorräder in Augenschein zu nehmen. Es war genauso, wie Dave gesagt hatte. Motorräder in Hülle und Fülle – BMWs, Kawasakis, Hondas, Ducatis, sogar eine auf Hochglanz polierte Harley – und an Plätzen abgestellt, die der lässigen französischen Gewohnheit entsprachen, ungeachtet der Verkehrsregeln überall dort zu parken, wo es konvenierte.
»Wir werden nichts tun, was zu auffällig wäre«, sagte Dave. »Nichts, woran sich jemand erinnern könnte. Und wir müssen die Nummernschilder mit Matsch einschmieren, um sie unkenntlich zu machen.« Er ließ seine Hand über eine Yamaha gleiten, die sich in seiner Reichweite befand, und tätschelte den Sattel. »Gut. Ich sage dir, was wir tun werden. Heute Nacht so gegen zwei, wenn alles an der Matratze horcht und die Luft rein ist, werden wir die Motorräder mitgehen lassen und sie im Lieferwagen verstauen. Morgen Abend erledigen wir unseren Auftrag, und danach schaffen wir uns die Motorräder wieder vom Hals. Ein Kinderspiel.«
Brian nickte. »Ja, ein Kinderspiel, Dave.«
Philippe machte Überstunden, verlieh dem Artikel, an dem er den ganzen Nachmittag geschrieben hatte, den letzten Schliff. Die Auseinandersetzung mit Prendergast machte ihm noch gewaltig zu schaffen, was jedoch seine Begeisterung für Sams Idee, ein Zelt am Strand aufzustellen, nur zusätzlich anfachte. Damit gelangte ein frischer Wind in die muffige, heimlichtuerische und oft korrupte Welt der urbanen Entwicklung. Nun ergänzte er schnell die Lobeshymnen, die er schon im vorigen Artikel über Sams Projekt angestimmt hatte, und schloss mit der Frage: Würden die beiden anderen Projekte den gleichen Einfallsreichtum erkennen lassen, oder handelte es sich um die üblichen Angebote bei Ausschreibungen, die hinter verschlossenen Türen ihren gewohnten Gang nahmen?
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, rieb sich die Augen und warf einen Blick auf seine Uhr. Ein anstrengender Feierabend lag vor ihm – das monatliche Essen mit Elodie und Raoul, Mimis Eltern. Wenn es wie gehabt verlief, würde es mit mehr oder weniger taktvollen Anfragen bezüglich seiner beruflichen Aussichten und dem einen oder anderen versteckten Hinweis gespickt sein, dass es doch für ihn nun an der Zeit sei, den Motorroller abzustoßen, ein Auto anzuschaffen und sich »häuslich niederzulassen«,
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