Der Coup von Marseille
würden die Worte, die er geschrieben hatte, Makulatur sein, aber heute wirkten sie frisch und lebendig – klar, einschneidend, mit guten Argumenten untermauert und mit dem einen oder anderen Schuss Humor gewürzt. Er gestattete sich ein mentales Schulterklopfen. Er musste nur noch ein paar Anrufe erledigen, bevor er für heute Schluss machen konnte.
Es war schon spät, fast neun, als er in die Tiefgarage hinunterging, um den Motorroller zu holen.
Reboul nahm beim dritten Läuten ab.
»Francis? Sam hier – ich hoffe, ich störe nicht?«
»Nicht im Geringsten, Sam, nicht im Geringsten. Ich brüte mutterseelenallein über einem Stapel Unterlagen von meinem Steuerberater.« Ein abgrundtiefer Seufzer ertönte am anderen Ende der Leitung. »Dieses vermaledeite Geschäftsleben! Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft hänge ich es an den Nagel, ziehe in eine Strandhütte, suche mir ein braunhäutiges Mädchen und werde Fischer.«
»Klar doch. Und ich trete ins Kloster ein. Aber bevor ich Abt und Sie Frührentner werden, habe ich eine gute Nachricht für Sie: Philippe hat gerade angerufen. Ich glaube, er hat einen äußerst gehaltvollen Artikel über unsere Präsenta-tion geschrieben, und die Schlagzeile lautet: ›Ein Zelt in der Anse des Pêcheurs‹. Er erscheint noch diese Woche in der Zeitung.«
»Gut. Das wird Patrimonio freuen. Hat er das Datum für die Präsentation schon festgelegt?«
»Ende der Woche, Gaston bleibt also genug Zeit für die nötigen Vorbereitungen.«
»Was halten Sie von ihm?«
»Von Gaston? Ein Schlitzohr; sieht aus, als könnte er kein Wässerchen trüben.«
Reboul lachte. »Sie haben recht. Aber vergessen Sie nicht, mein lieber Sam, das Schlitzohr kämpft auf unserer Seite. Falls es Probleme geben sollte, lassen Sie es mich wissen, d’accord? Oh, und noch etwas, Sam. Ich dachte, es wäre ganz nett, die Präsentation mit einem kleinen Abendessen zu feiern – in aller Stille, nur wir vier. Ich möchte Ihnen eine Frau vorstellen, die mir viel bedeutet.«
Hoffen wir, dass es etwas zu feiern gibt, dachte Sam, als er auflegte. Sowohl Reboul als auch Philippe schienen der Überzeugung zu sein, ihr Erfolg stünde von vornherein fest, doch Sam war sich da nicht so sicher. Wapping war ein zäher Gegner und Patrimonio kein Dummkopf. Sie würden nicht kampflos aufgeben.
Ruhelos strich er durchs Zimmer, und da er Elena bereits vermisste, wählte Sam ihre Nummer. Ihr Handy war ausgeschaltet. Wahrscheinlich saß sie mit ihrem Klienten in einem pompösen Restaurant und tat ihr Bestes, um sich den Anschein zu geben, dass sie die Schilderung der Probleme, die mit der Leitung einer Hotelkette einhergingen, faszinierend fand. Nicht zum ersten Mal dachte Sam, wie glücklich er sich schätzen konnte, ein Leben zu führen, das nicht im täglichen Einerlei der Gewohnheit versandete, sondern jede Menge Abwechslung bot. Von dem Gedanken getröstet, schenkte er sich ein Glas Wein an und wandte seine Aufmerksamkeit erneut der Präsentation zu.
Die Atmosphäre in der Masterkabine der Floating Pound war nicht so heiter wie sonst. Lord Wapping wirkte ein wenig gereizt. Seine Spione meinten in den Kommentaren der Ausschussmitglieder zu viele Lobesworte über Sams Angebot her ausgehört zu haben. Und deshalb hatte er Patrimonio zu sich beordert, um Kriegsrat zu halten.
»Es gefällt mir nicht, was ich da höre, Jérôme. Dieser ganze Quatsch über den frischen Wind, den Einwohnern von Marseille etwas Gutes tun – nun, ich bin sicher, Sie wissen, wovon ich rede. Das muss aufhören, und zwar sofort. Können Sie diesen Hohlköpfen im Ausschuss nicht beibringen, das Maul zu halten?«
Wappings Wortwahl war für Patrimonio, der mit dem Adelsstand ein gewisses sprachliches Niveau verband, oft ein Rätsel, doch dieses Mal war ihm der Sinn klar. Seine Lordschaft hatte Fracksausen. Patrimonio zupfte seine Manschetten zurecht, glättete das Haar und setzte sein beruhigendstes Lächeln auf. »Oh, ich glaube nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen. Ich kenne diese Männer, und sie wissen, dass ich mich um sie kümmern werde. Sollen sie doch reden. Am Ende kommen sie mit Sicherheit zur Vernunft. Es zählen ohnehin nur die Stimmen, die in der Wahl abgegeben werden, und nicht irgendwelche populistischen Äußerungen, die auf das Echo der Öffentlichkeit zielen. Und nicht zu vergessen: Wahlen sind geheim.«
Wapping war ausreichend ermutigt, um zwei Gläser Krug-Champagner aus der Flasche einzuschenken, die in einem
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