Der Coup von Marseille
an wie ein zurückgebliebenes Kind. »Ich habe im Stadtplanungsbüro recherchiert. Und jetzt lassen Sie uns mal überlegen. Das Projektmodell befindet sich am anderen Ende des Raumes, für jedermann sichtbar. Ich nehme an, dass wir diesen grässlichen Vorsitzenden hierher setzen müssen, an die Stirnseite des Tisches.«
»Den kennen Sie auch?«
»Ich bin ihm vor vielen Jahren im Konsulat begegnet, als er noch ein blutiger Anfänger war. Aber schon damals ein eitler Fatzke, der sein Mäntelchen nach dem Wind hängte, durchtrieben bis zum Geht nicht mehr. Dem sollte man besser nicht über den Weg trauen, mein Lieber, lassen Sie sich das gesagt sein!«
Jim hatte sich am Eingang postiert, um zeitig eintreffende Gäste in Empfang zu nehmen, und Sam machte eine letzte Runde durch das Zelt, das im goldenen Schein des gefilterten Sonnenlichts frisch, professionell und einladend wirkte. Er spürte, wie ihn eine Welle der Hoffnung durchflutete. Natürlich würde Patrimonio querschießen, das war unvermeidlich, aber er war zuversichtlich, dass sich unter den Ausschussmitgliedern der eine oder andere befand, der sich als auf geschlos sen erwies. Jammerschade, dass Reboul nicht zugegen sein konnte.
Kurz nach vier trafen die ersten Mitglieder des Ausschusses ein, die sich nur der Form halber gegen ein Glas Champagner als Begrüßungstrunk sträubten. Um Viertel nach zwei saßen alle sieben auf ihren Plätzen rund um den Tisch, ein jeder mit einem Glas Champagner und einer Kopie der Präsentationsunterlagen vor sich. Die Atmosphäre lockerte sich zusehends.
Der Stuhl des Vorsitzenden blieb noch weitere zehn Minuten verdächtig leer, und Sam erwog gerade, die Geduld der Anwesenden mit einer weiteren Champagnerzuteilung zu belohnen, als am Eingang des Zeltes Unruhe entstand. Es war Patrimonio, der seine Manschetten zurechtzupfte, sich die Haare glättete und verkündete, er sei durch ein ungemein wichtiges Telefonat aufgehalten worden. Er trug heute Schwarz – einen Seidenanzug mit weißem Hemd und einer nüchternen blau gestreiften Krawatte.
Damit lenkte er unverzüglich die Aufmerksamkeit von Miss Perkins auf sich. »Ich kann nicht glauben, dass er Eton-Absolvent war«, flüsterte sie Sam zu. »Aber er trägt eindeutig eine Krawatte der Old Etonians .« Sie rümpfte die Nase. »Schmückt sich mit fremden Federn, dieser anmaßende Wicht!«
Da Patrimonio endlich Platz genommen hatte, konnte die Präsentation beginnen. Miss Perkins hielt eine kurze Begrüßungsrede in exzellentem Französisch, erklärte den Zweck der Dokumente und bat die Ausschussmitglieder, die Hand zu heben, falls sie Sams Ausführungen nicht zu folgen vermochten.
Als Sam begann, erinnerte er sich an den Rat, den ihm einer seiner alten Partner erteilt hatte, mit dem er vor vielen Jahren auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts zusammengearbeitet hatte. »Mach es nicht zu kompliziert. Sag den Leuten klipp und klar, was du sagen willst. Sag es. Und dann sag noch einmal, was du ihnen gesagt hast.«
Er bekam binnen kürzester Zeit das Gefühl, dass ihm die Zu hörer gewogen waren, und er täuschte sich nicht. Am Tag zuvor hatten sie die Präsentation von Madame Dumas und ihrem Team aus Paris über sich ergehen lassen müssen, die sie mehrere Stunden lang mit Prognosen, Durchführbarkeitsstudien, Kostenvoranschlägen, Kostenanalysen, Tabellen, Diagrammen und Belegungsstatistiken für die geplanten Bettenburgen bom bardierten. Sams Präsentation war das genaue Gegenteil: einfach und leicht verständlich, eine angenehme Abwechslung, wozu zweifellos auch das gelegentliche Nachfüllen der Cham pagnergläser beitrug. Wenn man sich am Tisch umschaute, schien es, als ob einige Ausschussmitglieder die Veranstaltung geradezu ge nossen.
Mit einer Ausnahme. Der Vorsitzende trug während Sams gesamter Rede eine hölzerne Miene zur Schau, lehnte den Champagner ab, gab gelegentlich einen hörbaren Seufzer von sich und blickte ständig auf seine Uhr. Doch er war der Erste, der sich zu Wort meldete, als Sam geendet und erklärt hatte, dass Fragen willkommen seien.
Patrimonio stand auf, räusperte sich und feuerte seine verbalen Geschosse ab. »In Marseille ist die Anzahl der Grundstücke, wie wir alle wissen, sehr begrenzt, vor allem mit Meerblick. Und dennoch haben wir hier ein Projekt, das diese grundlegende Tatsache ignoriert. Wir müssen feststellen, dass eine außerordentlich groß bemessene Fläche einem völlig unwichtigen Gartenbereich und einem Hafen von
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