Der Coup von Marseille
zweifelhafter Bedeutung vorbehalten sein soll. Das ist schon schlimm genug. Aber noch schlimmer ist, dass wir durch die Beschränkung der Gebäude auf drei Stockwerke wertvollen Luftraum verschwenden, was ich nur als unverantwortlich bezeichnen kann. Erschließungsvorhaben dieser Art mögen in Amerika annehmbar sein«, Patrimonio deutete mit einer ruckhaften Kopfbewegung auf Sam, »wo es Grund und Boden in bei nahe unbegrenzter Menge gibt, doch hier gilt es, die Einschrän kungen zu berücksichtigen, die uns die lokalen Ressourcen auferlegen. Wir können uns keine horizontale Expansion mehr leisten. Der Weg nach vorne führt nach oben.« Er hielt inne und nickte, als sei er hochzufrieden mit seinem kleinen Bonmot. »Ja, der Weg nach vorne führt nach oben. Ich bin sicher, meine Kollegen werden mir zustimmen.« Und damit blickte er sich suchend am Tisch um und runzelte die Stirn, während er wartete: wenn schon nicht auf Beifall, dann zumindest auf Unterstützung.
Sam unterbrach die peinliche Stille, indem er die Vorteile seines Konzepts wiederholte, dass es nämlich nicht auf Touristen abziele, sondern prinzipiell den Bewohnern von Marseille Wohnraum und Lebensqualität böte. Sein Mut zur Wiederholung hatte zur Folge, dass einige am Tisch beifällig nickten.
Patrimonios Miene verfinsterte sich. »Ich hoffe, Sie entschul digen mich nun. Ich habe noch eine weitere Besprechung. Ich werde später mit den Ausschussmitgliedern darüber reden.«
Als Patrimonio das Weite gesucht hatte, hellte sich die Stim mung im Zelt schlagartig auf. Nachdem eine neuerliche Runde Champagner ausgeschenkt war, wurde die Atmosphäre regelrecht heiter, und es dauerte fast eine Stunde, bis das letzte Ausschussmitglied aufbrach.
Miss Perkins hatte die Stunde genutzt, um sich mit ver schiedenen Ausschussmitgliedern zu unterhalten. »Nun, mein Lieber, Sie können zufrieden sein«, lautete ihr Resümee. »Die Präsentation lief hervorragend, abgesehen vom Beitrag des Vorsitzenden. Aber ich denke, darüber sollten Sie sich nicht den Kopf zerbrechen. Soweit ich gehört habe, gibt es nur eine Gegenstimme, nämlich seine. Die Kommentare, die mir zu Ohren gekommen sind, waren alle außerordentlich positiv. Hat Mr Patrimonio eine Menge Einfluss?«
»Bleibt abzuwarten. Bei ihm kann man das nie genau sagen. Doch ich schätze, er wird dem einen oder anderen die Daumenschrauben anlegen.«
Miss Perkins tätschelte seine Hand. »Keine Bange, mein Lieber. Er ist nicht sonderlich beliebt, wissen Sie. Das konnte man den Bemerkungen entnehmen, die hier und da fielen. Wir sollten uns entspannen; Sie kennen sicher das Zitat von Charles Péguy: ›Nur durch die Hoffnung bleibt alles bereit, immer wieder neu zu beginnen.‹«
Die Floating Pound, die zwei Liegeplätze für sich einnahm, ankerte mit dem Heck voraus am Kai von Saint-Tropez, damit die Passanten das prächtige Achterdeck bewundern und – natürlich aus sicherer Entfernung – das Zelebrieren der Cocktailstunde an Bord beobachten konnten.
Annabel hatte den größten Teil der kurzen Schiffsreise von Marseille aus am Telefon verbracht, um eine Party aus dem Stegreif zu organisieren, und es war ihr gelungen, eine gemischte Truppe von in Frankreich lebenden Engländern und Urlaubern an Bord zusammenzutreiben. Man konnte sie leicht anhand ihres Teints unterscheiden: bei Ersteren war die Haut braun und ledrig, bei Letzteren herrschten diverse Schattierungen vor, angefangen von hellrosa bis rot. Es war, als würden sie sich als Versuchspersonen für eine Studie über Hautkrebsrisiken bewerben. Was sie verband, war die Vorliebe für weiße Kleidung und ins Auge fallenden Goldschmuck. Dass sie keine Franzosen waren, hätte jeder Beobachter schon aus weiter Entfernung gesehen.
»Schätzchen!« »Süße!« »Es ist Ewigkeiten her!« »Du sieht fabelhaft aus! Dieses Botox ist ein echtes Wundermittel, wie man sieht!« »Himmlisch!« »Mhm!« Und so ging es weiter, die übliche Tonspur eines Sommers in Saint-Tropez.
Lord Wapping, der nach einem langen, Champagner-induzierten Mittagsschläfchen seine gute Laune wiedergefunden hatte, durchforstete seine Garderobe, bis er endlich ein Outfit fand, das der Gelegenheit angemessen schien: einen wogenden Kaftan in Weiß (mit Glanzlichtern aus Goldbrokat), der ihm, wenn man Annabel Glauben schenken durfte, das Aussehen eines römischen Imperators in seiner besten Sonntagstoga verlieh. Er machte die Runde unter seinen Gästen, imposant und ausladend wie ein Zelt, und
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