Der Cowboy
langsam die Flasche an seine Lippen und nahm einen kleinen Schluck. Ihm stiegen die Tränen in die Augen, aber er lächelte Fred tapfer an. “Guter Stoff”, krächzte er. “Machen Sie das Zeug selbst?”
“So isses.”
Quinn sah Fred in die Augen und fand in ihnen das, worauf er gehofft hatte – einen Funken Respekt.
Jo erwachte um halb sieben. Für ihre Verhältnisse hatte sie bis in die Puppen geschlafen. Regen trommelte aufs Dach. Sie ließ sich wieder auf ihr Kissen zurückfallen. Regen war gut. So konnte das Gras, mit dem sie das Vieh im kommenden Winter füttern würde, wachsen. Falls sie die Ranch im nächsten Winter noch besaß. Aber Regen bedeutete auch Schlamm, und Schlamm war weniger gut.
Jo warf einen Blick auf das Foto ihrer Großtante Josephine, das auf dem Nachttisch stand. Josephine hatte an die Wiedergeburt geglaubt und war überzeugt gewesen, dass Jo die Reinkarnation einer Pioniersfrau war, was ihrer Meinung nach Jos Charakter lückenlos erklärte.
Jos Mutter war gestorben, als sie 13 war. Wenig später heiratete ihr Vater eine Frau, die Jo nicht sonderlich mochte. Tante Josephine war Jos einzige Rettung gewesen. Seitdem hatte Jo davon geträumt, eines Tages auf der Ranch mitzuarbeiten. Aber ihre Tante hatte darauf bestanden, dass sie erst aufs College ging, wo Jo die wunderbare Cassie kennengelernt hatte.
Beim Gedanken an ihre Freundin musste Jo lächeln. Nach dem Abschluss hatte Jo ein Jahr lang im Stall von Cassies Familie gearbeitet, um Erfahrungen für die
Bar None
zu sammeln. Dann war Josephine unerwartet an einem Herzinfarkt gestorben, und plötzlich musste Jo sich ganz alleine um die Ranch kümmern.
“Hacken runter! Rücken gerade! Pack die Mähne! Ja! Genau so!”
Das klang nach Fred. Jo warf die Decke zurück und ging ans Fenster.
Da saß jemand auf Hyper, und so wie der Reiter herumgeworfen wurde, konnte das niemand anderes sein als Quinn. Was hatte sie nur getan?
Jo schlüpfte in ihre Jeans und ließ Quinn dabei keine Sekunde aus den Augen. Hyper war das wildeste Pferd im Stall! Fred ließ wirklich keine Gelegenheit aus, Quinn auf Herz und Nieren zu prüfen. Und dann auch noch im Regen! Der Sattel wurde nicht gerade rutschfester, wenn er nass war.
Während sie ihre Hemdsknöpfe schloss, jagte Jo die Treppe hinunter.
Emmy Lou stand in der Küche und briet Speck. “Fred hat Quinn um halb sechs abgeholt”, rief sie Jo hinterher, die schnurstracks auf die Haustür zulief.
“Und warum zur Hölle hat Quinn Fred nicht einfach weggeschickt?”, antwortete sie, während sie ihren Cowboyhut und einen Regenmantel von der Garderobe nahm.
“Schätze, das hätte nicht zu seinem Traumprinzen-Image gepasst!”
“Was soll ich mit einem Traumprinzen bloß anfangen?”, fragte Jo. “So einen hatte ich noch nie.”
Emmy Lou erschien im Türrahmen der Küche. “Letzte Nacht im Stall warst du eindeutig auf dem richtigen Weg.”
Jo schüttelte den Kopf. “Das würde unseren ganzen Plan ruinieren.”
“Dann solltest du dir vielleicht einen Plan B überlegen!”
Jo riss die Haustür auf. “Dafür habe ich jetzt keine Zeit. Erst mal muss ich Quinn retten, ehe er sich jeden Knochen einzeln bricht.”
Sie rannte durch Matsch und Pfützen auf die Koppel zu. Als sie ankam, hielt Hyper abrupt inne, und Quinn rutschte aus dem Sattel. Die Koppel war eine einzige Schlammlawine. Zum Glück landete Quinn mit dem Hintern und nicht mit dem Gesicht zuerst.
Jo stürmte auf Fred zu, der sich an den Zaun gelehnt hatte. Er drehte sich nicht um, sondern murmelte nur: “Morgen, Jo.”
Jo hätte niemals in der Öffentlichkeit einen ihrer Angestellten heruntergeputzt, aber in diesem Moment musste sie sich sehr beherrschen, so leise zu sprechen, dass Quinn sie nicht hörte. “Es regnet, Fred. Und zwar wie aus Kübeln.”
“Ist mir nicht entgangen.”
“Gut. Dann können wir wohl zum nächsten Punkt übergehen: Quinn reitet Hyper!”
“Ist mir ebenfalls nicht entgangen.”
“Warum reitet er Hyper, Fred?”
“Er hat ihn sich ausgesucht.”
“Natürlich hat er das!” Jo bemerkte, dass sie laut wurde, und senkte ihre Stimme wieder. “Jeder würde Hyper aussuchen. Er ist ein wunderschönes Tier. Aber vermutlich hast du Quinn nicht erzählt, was für ein Miststück Hyper ist, oder?”
“Warte ‘ne Sekunde, Jo.” Fred formte seine Hände zu einem Megafon und rief Quinn zu: “Dein Hut liegt da drüben! Nächstes Mal musst du die Oberschenkel besser nutzen!”
“Es wird kein
Weitere Kostenlose Bücher