Der Dämon, die Zeitmaschine und die Auserwählten (Zehn Namen) (German Edition)
die überirdisch lebten, unterschied, einige Abweichungen. Erst mal waren sie splitternackt. Warum auch nicht? Wenn man unter Blinden ist, kann niemand dem anderen was weggucken. Ihre Haut war von einem nahezu durchscheinenden blassweißen Teint. Hatten wohl seit Ewigkeiten kein Sonnenbad mehr nehmen können. Da sie keinerlei Augen besaßen - bestenfalls das ein oder andere Hühnerauge - waren ihre Ohren umso besser entwickelt. Und scheinbar auch ein wenig größer, als diejenigen normaler Menschen. Ihre Körperbehaarung erschien sehr spärlich. Nur auf den Köpfen hatten sie für gewöhnlich ein paar lichte weiße Haare. Ohne jedwede Farbpigmente. Die Haare des Alten zum Beispiel sahen aus wie die vergessenen Reste eines Weizenfeldes nach der Ernte. Darunter war die totenblasse Kopfhaut des Greises zu sehen. Doch eines fiel auf, was nicht recht ins Gesamtbild eines Sandmenschen passte. Sie waren durchgehend recht kräftig. Trotz ihrer dürren Gestalt schienen ihre Armmuskeln erkennbar gut ausgebildet zu sein, so als würden sie täglich hart arbeiten müssen. Aber woran mochten sie arbeiten? Immerhin sah der Stollen doch aus, als wäre er schon zig und hunderte Jahre alt. Ansonsten sahen die Bewohner der Unterwüste wie andere Menschen auch aus. Dünne, blasse Menschen ohne Augen, dafür mit großen Ohren. Ob auch sie ursprünglich aus der Dimension von Ben, Charly und Luna stammten? Vor etlichen Generationen hinübergewechselt vielleicht? Und waren dann aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen mutiert? Zumindest auf einige dieser Fragen erhielten die staunenden Zuhörer in der folgenden Geschichte eine Antwort. In ihren Köpfen vernahmen sie die angenehme, warme und sympathische Stimme des Familienoberhauptes.
„Unser Volk lebte vor nie gezählten Monden, als es noch Monde gab, wie auch ihr oben auf der Erde. Söhne und Töchter der Sonne. Wie ihr. Sie lebten ein fleißiges, friedliches Leben. Eine Generation folgte auf die andere. Sie wohnten in schönen Hütten aus Holz im Wald und um ihm herum. Sie lebten in Frieden mit ihren Nachbarn, den Poltans. Denn sie gingen ihnen ob ihrer dauernden Lügerei schlicht und ergreifend aus dem Weg. Es war die Zeit, in der es nur eine Sonne gab. Doch dann folgten in rascher Folge noch vier weitere. Bis heute weiß niemand den Grund für ihr Erscheinen. Es gab schließlich keine Nacht mehr und unser Wald starb in den Flammen der Sonne. So wie auch viele unserer armen Vorfahren. Sie verbrannten, verdursteten oder verhungerten, als die Ernten ausblieben. Das war vor unendlich vielen Generationen, bis ...“
„Es tut mir leid“, unterbrach ihn Lisa mit gesprochenen Worten. „Aber das kann nicht sein. Wir haben in den letzten Tagen die Vernichtung eures Waldes miterlebt. Es ist keine drei Tage her, vermute ich. Geschweige denn Generationen.“
„Du irrst dich und irrst dich wieder nicht, Lisa. Wir haben hier unten unsere eigene Zeit. Während ihr hier unten stundenlang sitzt, vergeht dort oben nicht einmal ein Hundertstel dieser Zeitspanne. Und ihr habt euch unserer Zeit angepasst, da ihr in unsere Welt eingedrungen seid.“
„Eine Luke stand offen“, bemerkte Ben am Rande.
„Ich weiß.“ Der alte Mann ihm gegenüber lächelt stumm. „Wir haben sie für euch geöffnet.“
Mehr war er nicht preiszugeben bereit. Doch Ben musste wieder einmal feststellen, dass es mit der Zeit in dieser Dimension eine unerklärliche Sache war. Nicht wie in seiner eigenen Welt, in der es nur eine einzige Zeit gab, nach der sich die Bewohner richten konnten, sondern eine flexible Zeit, die sich nach dem jeweiligen Individuum richtete. Eine Sekunde lang dachte er an die einheimische Eintagsfliege. Kam ihr ein Tag etwa auch so vor, wie ihm ein ganzes Leben? War seine Welt doch so verschieden nicht in ihren Grundzügen zu dieser? Doch dann verdrängte er diesen Gedanken wieder und hörte der weiteren Erzählung des Sandmenschen in seinem Kopf zu.
„Als dann das Leben oben unmöglich und das Sterben garantiert war, mussten wir nach anderen Wegen suchen. Und wir fanden sie. Die wenigen Überlebenden gruben in der sengenden Hitze. Erst nach Grundwasser, dann nach einem schattigen Aufenthaltsort für sich und ihre Familien. Und sie mussten tief, sehr tief graben. Mit einfachen Holzwerkzeugen aus dem gestorbenen Wald, doch das meiste mit ihren Händen. Immer tiefer hinein, bis sie irgendwann einen natürlichen unterirdischen Hohlraum im Urgestein fanden. Viel Zeit war bis dahin ins Land
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