Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
Umgebung seines Verlieses schenkt er die nötige
Beachtung: Dahinter stehen Modellbahnerbäumchen in
Reih und Glied. Die Wiese, auf der die Plastikkühe grasen, ist sorgfältig
umzäunt.
Zeit, seine
Version der Ereignisse in epischer Länge bei den Behörden zu platzieren, hat er
zur Genüge. Kieber hat beim liechtensteinischen Amt für Soziale Dienste einen
Antrag auf Unterstützung gestellt. Untergebracht ist das liechtensteinische
Sozialamt im Zentrum der Gemeinde Schaan im Obergeschoss des Postgebäudes. Vor
dem nüchternen Betonbau aus den 1960er Jahren halten die Postbusse, die
Liechtenstein mit den Bahnhöfen Sargans und Buchs in der Schweiz und Feldkirch
in Österreich verbinden und die für regen Publikumsverkehr rund um das Haus
sorgen. Der ideale Ort für das Amt. Denn im kleinen, reichen Liechtenstein will
sich niemand beim Antrag auf Stütze erwischen lassen.
Kieber gibt
sich vor dem Sachbearbeiter des Amtes mittellos. Dass der 32-jährige Junggeselle
zu dem Zeitpunkt mindestens ein Dutzend Bankkonten hat, hängt er nicht an die
große Glocke. Darunter sind ein Konto bei der spanischen Banco Atlántico , eines bei der Banco Sabadell, eines bei La Caixa , drei Konten bei der VP
Bank in Vaduz, ebenfalls drei Konten bei der LGT Bank in Liechtenstein, zwei
bei der Liechtensteinischen Landesbank und eines bei der ANZ-Bank in
Neuseeland. Und dann ist da auch noch das Konto bei der Bawag -Bank
in Österreich, auf dem Kieber über 800.000 Franken liegen hat – allerdings kann
er auf die nicht mehr zugreifen.
Das
Sozialamt weist Kieber für eine Übergangszeit eine Unterkunft im
Liechtensteinischen Betreuungszentrum St. Martin in Eschen zu, einem
Altersheim. Eschen ist ein schmuckes Dorf mit rund 3 500 Einwohnern am Südfuß des sanft gewellten Eschnerbergs ,
an dessen Hängen Weinbau betrieben wird. Im St. Martin, direkt neben der
Pfarrkirche gelegen, freundet sich Kieber mit den betagten Bewohnern an. Die
alten Leute freuen sich über das unbändige Leben, das der quirlige junge Mann
in ihre träge vor sich hintröpfelnden Tage bringt.
Später
schreibt Kieber darüber: »Ich kann nur jedem empfehlen, wenigstens einmal sich
das Leben in einem Altersheim genau anzuschauen; ich versichere euch, ihr
werdet ganz anders über alte Menschen und speziell euer eigenes Älterwerden
nachdenken. Nicht dass es an Geld je mangelt, aber auch in einem so reichen
Land wie Liechtenstein ist das Seniorenheim ein (geistiges) Abstellgleis für
viele.« [92]
Ist Heinrich
Kieber nicht mit seinen Eingaben bei Gericht beschäftigt, hilft er im
Lebensmittelladen seines Onkels Guntram Vetter aus und hält Ausschau nach einem
Job. In dieser Zeit kreuzen sich die Wege von Heinrich Kieber und Gerlinde
Böhler*. Böhler arbeitet in einem Personalvermittlungsbüro: »Das Arbeitsamt
teilte mir Heinrich zu. Ich sollte eine passende Stelle für ihn finden. Bei
seinen Terminen hat er mir seine Schnittwunden und Fesselspuren gezeigt, die in
Südamerika entstanden seien. Dort sei er gewesen, um Schulden von einem
Bekannten einzutreiben. Der Bekannte und er hätten in Spanien ein
Touristenschiff gehabt, und dann sei irgendwie, glaube ich, die Mafia ins Spiel
gekommen. Ich stellte mir vor, er hatte irgendwas mit Drogen zu tun. Daraufhin
musste ich ihm sagen, dass ich ihm aufgrund der Ereignisse, die er mir
geschildert hat, keinen Bürojob vermitteln könne. Das wäre unverantwortlich dem
künftigen Arbeitgeber gegenüber.«
5. Neue Freunde, Neues Glück ‒ 1998
bis 1999
Guntram Vetters Delikatessengeschäft
am Altenbach ist ein beliebter Treffpunkt in Vaduz. Vom Ortszentrum sind es
zweihundert Meter die steile Altenbachstraße hoch in Richtung historischer
Ortskern und Schloss Vaduz. Im Hinterzimmer von Vetters Ladenlokal ist eine
kleine Gaststube für den Verzehr vor Ort eingerichtet. In der trifft sich
tagsüber, vorzugsweise aber auch nachts, ein Grüppchen Liechtensteiner zum
Kartenspiel. »Ich bin oft um Mitternacht ins Bett«, so Guntram Vetter, »und wie
ich um sechs Uhr in der Früh wiederkam, saßen die immer noch da hinten.«
Einer von
Vetters Stammgästen ist Hubert Gärtner*, der mit Anwälten und Inhabern von
Handwerksbetrieben dem Kartenspiel frönt. Gärtner ist ehemaliger Angestellter
der Liechtensteinischen Landesbank, der sich vor einigen Jahren als
Vermögensverwalter selbständig gemacht hat. Viele Kunden hat er von seinem
ehemaligen Arbeitgeber mitgenommen. Seine Klienten empfängt er in einem Büro,
das nur
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