Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
Argentiniensache aufgenommen. Heinrich Kieber
hat sich der Untersuchung als Privatbeteiligter angeschlossen, was ihm
umfassenden Einblick in die Akten ermöglicht. Im September richtet er ein mit
»Kurzmitteilung« bezeichnetes Fax an Staatsanwältin und Untersuchungsrichter.
Das Schreiben umfasst fünf eng bedruckte Seiten. Seine Wirkung auf
Außenstehende ist ihm durchaus bewusst, jedenfalls zeitweise: »Ich bin wie ich
bin«, heißt es gegen Ende des Schreibens. »Ich weiß, dass ich auf Leute, die
mich neu kennenlernen, einen nervösen Eindruck machen kann – teils wegen meinem
schnellen Sprechen, teils wegen meinem schnellen Agieren. Ich bitte die
Untersuchungsbehörde, meine Art und Weise, wie ich kommuniziere, falls es eher
als ›negativ‹ betrachtet wird, nicht in Ihre Schlussfolgerungen
miteinzubeziehen.«
Rückblickend
schreibt Kieber: »In den verbleibenden Monaten des Jahres 1997 war ich
praktisch ein Dauerbesucher beim Landgericht Vaduz gewesen. Drei- bis viermal
pro Monat habe ich, oft ohne Termin, beim Untersuchungsrichter angeklopft und
höflich gefragt, wie der Stand der Dinge sei.« [90] Kieber ersetzt Qualität durch Quantität: »Ohne
Übertreibung kann ich fest behaupten, dass ich als Opfer (nicht nur in der
Rolle als Privatbeteiligter am Prozess) alles nur Denkbare und Menschenmögliche
gemacht habe, um der Staatsanwaltschaft und dem Untersuchungsrichter bei ihrer
Arbeit zu helfen. Wenn man es genau nimmt, habe ich die Arbeit der
Staatsanwaltschaft getan. Ich habe im Jahr Hunderte von Seiten
niedergeschrieben, Akten angefertigt und Fotos gemacht.« [91]
Es ist eine
Sammlung mit höchst befremdlichen Motiven, die er für die Behörden fotografisch
nachstellt: Kieber mit einem Sack auf dem Kopf (mit der Bildlegende: »Nachdem
ich aus dem Wagen gezerrt wurde, stülpte man mir einen Getreidesack über den
Kopf«); Kieber mit einer Fessel um den Fuß, daran eine massive Eisenkette (»Ich
stach mir mit den unteren Ecken des Rings in das Fleisch«); Kieber mit einem
Kissen vor dem Gesicht auf einem Campingbett liegend (»Diese Position musste
ich jeweils einnehmen, wenn sich Besuch von Bewachern ›angekündigt‹ hat«).
Die
nachgestellten Fotos sind ihm noch nicht »Beweis« genug. Wie es der Zufall
will, lernt er die Grafikerin Sabine Bockmühl aus Liechtenstein kennen: »Ich
war zu der Zeit mit einer Comic-Arbeit im Rahmen eines Stipendiums
beschäftigt«, erzählt sie, »als mein Exmann eines Tages Henry mit nach Hause
brachte. Er hatte ihn irgendwo aufgelesen und war mit ihm ins Gespräch
gekommen. So war eins zum andern gekommen. Er brauche Zeichnungen fürs Gericht,
sagte Henry. Er hatte ein Manuskript dabei und wollte ein paar Szenen der
Geschichte gezeichnet wissen. Ich habe dann Ja zum Auftrag gesagt, weil ich
gedacht habe, das ist die unglaublichste Räubergeschichte, die mir je
widerfahren ist. Bei der Arbeit war es immer zwiespältig. Die Welt ist groß,
und schlimme Geschichten geschehen. An manchen Tagen habe ich gedacht: Mein
Gott, der arme Kerl, so furchtbar. An anderen Tagen: Ja, also, wenn man in
solch eine Geschichte gerät, hat man selbst auch was dazu beigetragen. Am Ende
habe ich es ihm nicht mehr ganz abgenommen, dass er nur das unschuldige Opfer
war und die anderen die Bösen. Es klang bei ihm oft nach Schwarz-Weiß-Malerei.«
Damit Sabine
Bockmühl die Szenen möglichst realistisch umsetzen kann, steht Kieber der
Grafikerin Modell: »Henry hat sehr auf diese Detailgenauigkeit bestanden: ›Da
war das Fenster, da war die Treppe, da war die Kette, die hat so ausgesehen,
und da war das Stromgerät, und da musste ich mich hinlegen, und auf der
Matratze war ein Blutfleck.‹ Das musste alles wirklich ganz genau so stimmen,
wie er es im Kopf hatte. Und damit das auch realistisch rüberkommt, das weiß
ich noch, da musste ich ihn für die Szene ›Flehen um Freilassung‹ fotografieren,
wie er bei uns im Wohnzimmer kniete. Dabei hatte er die Hände wie zum Gebet
erhoben. Ich habe die Fotos gemacht und dachte: ›In welchen schrägen Film bin
ich da reingeraten?‹«
Darüber
hinaus gibt Kieber einen Nachbau seines Verlieses in Argentinien in Auftrag.
Liebevoll sind in der Gefängnisminiatur alle Details seines Kerkers
nachgebildet: das Bett auf dem Steinboden im runden Hauptraum, rechts davon das
Nachtkästchen, die rote Fassung der Wandlampe mitsamt eingedrehtem
Glühlämpchen, ein kleines U-Häkchen in die Wand eingelassen und daran ein
filigranes Kettchen. Auch der
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