Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
auf einen von ihm vorbereiteten
Kommunikationskanal hinweist, kommt Bewegung in die Sache.
Kieber, der
begeisterte Anhänger von Agententhrillern und Gangsterfilmen, ist in seinem
Element: »Ich habe eine sichere und einfache Kommunikationsmöglichkeit übers
Internet eingerichtet. Das nötige Login-Wort der E-Mail-Adresse ist ganz in
Ihrer Nähe. Ich bitte Sie, in die Schatzkammer in Ihrem Rundturm im Schloss zu
gehen. Im Blickwinkel eines ideellen Selbstbildnisses (wo er sich als Musiker
darstellt) des Malers Gerard Dou habe ich selber das Login-Wort angebracht.« [141]
Fürst
Hans-Adam und Erbprinz Alois zitieren den Regierungschef, den Innenminister und
den Polizeichef, der einen weiteren Beamten mitbringt, aufs Schloss Vaduz. Hier
lagert der größte Teil der unermesslich wertvollen fürstlichen Kunstsammlung,
deren Schwerpunkt Meisterwerke der europäischen Kunst von der Frührenaissance
bis zum Barock bilden. Die Sammlung ist mehrfach gesichert und optimal
klimatisiert hinter bis zu vier Meter dicken Mauern. Die Gruppe, angeführt vom
Staatsoberhaupt, betritt das Depot, sucht das erwähnte Gemälde von Gerard Dou und
findet, an einem Metallrahmen befestigt, ein Zettelchen ,
auf dem »mexico67« steht.
Die
hochkarätige Runde ist perplex. Wie konnte es einem Außenstehenden gelingen,
den tresorähnlichen Raum zu betreten, um dort eine Nachricht zu hinterlassen?
Was niemand von ihnen weiß: Im Herbst 2002 nahm Kieber an einer Führung teil,
die die Geschäftsleitung der LGT Group – der mit Prinz Philipp ein Bruder
des Fürsten vorsteht – gelegentlich für Mitarbeiter veranstaltet. Während des
Rundganges durch die riesige Kunstsammlung setzte sich Kieber für einen Moment
von der Gruppe ab und platzierte hinter dem Selbstbildnis des Malers Gerard Dou
den Zettel mit dem Passwort.
Spätestens
jetzt ist den Beteiligten klar, dass Kieber seine Tat minutiös und von langer
Hand geplant haben muss. Der Krisenstab – bestehend aus Fürst, Erbprinz,
LGT-Führungspersonal, Polizeispitzen, Staatsanwaltschaft, Regierungschef Otmar
Hasler und Justizministerin Rita Kieber-Beck – steht vor einem diffizilen
Problem. Dass sich Kieber in Berlin aufhält, hat man anhand von
zurückverfolgten Telefongesprächen ermittelt. Der einfachste und sicherste Weg,
den Erpresser dingfest zu machen, wäre es, Deutschland um Amtshilfe zu bitten.
Schließlich fahndet bereits Spanien international nach Kieber wegen der Betrügereien
auf Mallorca und in Barcelona. Nur: Das Allerletzte, was man in Liechtenstein
will, ist, dass den deutschen Behörden bei einer Verhaftung Kiebers die
geheimen Kundendaten der LGT Treuhand in die Hände fallen und der
Steuerfahndung zur Auswertung übergeben werden.
Gleichzeitig
zeichnet der Wiener Kriminalpsychologe von Kieber das Bild eines psychisch
angeschlagenen, in die Ecke gedrängten Mannes, der nichts mehr zu verlieren hat
und zu allem fähig ist. Dass Kieber einen Pilotenschein hat, macht die Sache
nicht besser. Was, wenn der labile Erpresser Amok läuft? Ein Szenario, das der
Krisenstab skizziert – der 11. September 2001 liegt noch keine zwei Jahre
zurück –, sieht Kieber mit dem Flugzeug in einen Bankenturm in Frankfurt
am Main krachen. Was also tun?
Die
liechtensteinischen Behörden entscheiden sich dafür, Interpol Wiesbaden zwar
auf Basis des von Müller erarbeiteten Profils zu warnen, die Hintergründe aber
nicht weiter auszuleuchten. Und vor allem mit keinem Wort die Bankdaten zu
erwähnen, um nicht das Interesse der Deutschen an Kieber und seinem Wissen zu
wecken. Am 23. und am 24. Januar kabelt Vaduz nach Deutschland: »Sehr
dringend. An Interpol Wiesbaden. Person: Kieber Heinrich. Internationaler
Haftbefehl (publiziert im Schengen Information System). Vorsicht: Könnte
bewaffnet sein, Aufenthalt unbekannt. Wegen psychischer Störung muss von hoher
Gewaltbereitschaft ausgegangen werden.«
Noch immer
ist sich der Krisenstab nicht darüber im Klaren, ob Kieber wirklich im Besitz
einer Kopie der kompletten Datenbank ist. Die IT-Abteilung verneint nach wie
vor kategorisch die Möglichkeit, dass sich der ehemalige Mitarbeiter eine Kopie
gezogen haben könnte. Eher wird vermutet, Kieber habe mit Hilfe seines beinahe
fotografischen Gedächtnisses eine Zusammenstellung der LGT-Treuhand-Kunden
vorgenommen. Ärgerlich genug, wenn er sein Wissen mit deutschen Medien teilen
würde – aber doch nichts, was die Treuhandfirma in ihren Grundfesten
erschüttern könnte. Müller baut auf der
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