Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)
vorbei. Tatsache ist doch: Der Konjunktiv ist vom Aussterben bedroht. Er liegt quasi in den letzten Zügen. Wenn du beschrieben hättest, wie Vater und Sohn vor einem leeren Käfig stehen, weil der Konjunktiv vorige Woche gestorben ist, dann wäre die Geschichte glaubwürdiger.« Ich bin nicht immer Henrys Meinung, manches sieht er ein wenig zu drastisch, aber in einem Punkt hat er Recht: Der Konjunktiv macht keine großen Sprünge mehr.
Dabei kann man nun wirklich nicht behaupten, der Konjunktiv sei eine unbedeutende Randerscheinung in der deutschen Sprache. Die Grammatikwerke widmen ihm seitenlange Kapitel mit zahlreichen Unterkapiteln und weisen ihm nicht weniger als drei wichtige »Funktionsbereiche« zu, in denen er zum Einsatz kommt.
Da wäre zum einen der »Wunsch«-Bereich (»Er lebe hoch!«, »Mögest du hundert Jahre alt werden!«), zum Zweiten der Bereich des Unmöglichen und des Unter-bestimmten-Bedingungen-doch-Möglichen, auch Irrealis genannt (»Ich an deiner Stelle hätte es anders gemacht«, »Wir wären schneller fertig, wenn du mal mit anfassen würdest!«), und zum Dritten der Bereich der indirekten Rede.
Der Bereich »Wunsch«, der auch jede Form der Aufforderung mit einschließt, ist noch relativ überschaubar und verursacht nicht allzu große Probleme. Man braucht nur ein Kochbuch aufzuschlagen, schon steckt man mittendrin: »Man nehme drei Eier, schlage sie auf, trenne das Eiweiß vom Dotter und gebe das Eiweiß in einen sauberen, fettfreien Rührtopf.«
Der zweite Bereich hingegen ist alles andere als überschaubar. Dort hat man es zudem nicht nur mit einer Form des Konjunktivs zu tun, sondern gleich mit zweien. Man unterscheidet zwischen Konjunktiv I (er habe, sie sei, du werdest) und Konjunktiv II (er hätte, sie wäre, du würdest). Der Konjunktiv II ist immer dann gefragt, wenn es gilt, etwas Hypothetisches zum Ausdruck zu bringen (»Hätte ich deine Figur, könnte ich alles essen, was ich wollte!«), einen irrealen Vergleich anzustellen (»Sie tut ja gerade so, als ob sie schüchtern wäre!«) oder Zweifel anzumelden: »Zwar hieß es, die Polizei hätte jeden Winkel im Umkreis von zehn Kilometern abgesucht, aber die Angehörigen gaben sich damit nicht zufrieden und machten sich selbst auf die Suche.«
Eine nach wie vor wesentliche Rolle kommt dem Konjunktiv in der indirekten Rede zu. Tagtäglich sind im deutschsprachigen Raum ganze Heerscharen von Journalisten damit beschäftigt, die Worte von Politikern, Managern, Prominenten und Sachverständigen in indirekte Rede umzuschreiben, und dabei wird aus jedem Indikativ (»Ich bin überzeugt, dass wir dieses Spiel gewinnen werden!«) ein Konjunktiv (»Er sagte, er sei überzeugt, dass seine Mannschaft dieses Spiel gewinnen werde.«). Da die Arbeit von Journalisten zum überwiegenden Teil darin besteht, die Worte von anderen mit ihren eigenen wiederzugeben, wimmelt es in Nachrichtentexten von Konjunktiven. Ich bin fast sicher, wenn Sie eine Zeitung nähmen und diese ausschüttelten, so fielen mehr Konjunktive als Indikative heraus. Die Beherrschung des Konjunktivs ist daher eine wesentliche Voraussetzung für eine Laufbahn im Journalismus. Oder – konjunktivisch ausgedrückt – sie sollte es sein.
Henry überrascht mich gelegentlich mit ganz erstaunlichen Formulierungen. Da sitzen wir zusammen im Café und unterhalten uns über einen gemeinsamen Freund, und plötzlich sagt er: »Säßen wir jetzt nicht hier bei Kaffee und Kuchen, riefe ich ihn sofort an.« Zweimal Konjunktiv II in einem gesprochenen Satz! Mir fällt vor Begeisterung die Kuchengabel aus der Hand. »Du meinst, würden wir jetzt nicht hier sitzen, würdest du ihn sofort anrufen?«, frage ich nach. Henry sieht mich streng an: »Nein, ich meine säßen und riefe , du hast mich genau verstanden.« – »Spräche jeder so wie du, lieber Henry, schwämmen mir als Kolumnisten die Felle davon«, erwidere ich augenzwinkernd. »Schwämmen oder schwömmen?«, fragt Henry, und schon stecken wir mitten im Sumpf der unregelmäßigen Verben. »Büke der Bäcker sein Brot mit mehr Gefühl, verdürbe es nicht so schnell«, sagt Henry. »Spönnest du weniger, so stürbe ich nicht gleich vor Lachen!«, entgegne ich. »Hübe jeder seinen Müll auf, gewönne die Stadt an Lebenswert«, kontert Henry. »Gnade!«, rufe ich. »Das ist ja nicht mehr auszuhalten! Hübe heißt es ganz bestimmt nicht!« – »Das ist veraltet«, sagt Henry, »aber was alt ist, muss nicht gleich falsch sein. Kennte
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