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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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das »Herr« vor Namen und Titeln immer gebeugt:
    Sie sitzen auf Herrn Künneckes Platz! (Genitiv)
    Der Hund gehört Herrn Wagner. (Dativ)
    Wir warten auf Herrn Forster. (Akkusativ)
    Kennen Sie Herrn Dr. Metzler? (Akkusativ)
    Auch ist es nach wie vor üblich, auf Briefen den Adressaten zu beugen:
    Herrn Konrad Meier
    Fasanenstieg 14
    22301 Hamburg
    Man kann das »Herrn« auch weglassen, aber wenn man es schreibt, muss man es beugen. »Herr Konrad Meier« als Adressangabe auf einem Brief gilt als unkorrekt.

Der angedrohte Wille
    »Der Minister kündigte an, die Probleme noch in dieser Legislaturperiode anpacken zu wollen.« Das klingt im ersten Moment nach Initiative. Doch wenn man diesen Satz mit dem Finger berührt, zerfällt er zu Staub. Schuld daran ist diesmal aber nicht die Regierung, sondern ein weit verbreiteter »Übersetzungsfehler«.
    »Wenn du mich küsst, werde ich imstande sein, mich in einen wunderschönen Prinzen verwandeln zu können«, sagte der Frosch, »und ich gelobe, dich lieben zu wollen, und ich verspreche, dir für alle Zeit treu sein zu wollen.« Woraufhin die Prinzessin den Frosch packte und gegen einen Betonpfeiler schleuderte, an dem er mit einem unappetitlichen Geräusch zerplatzte. Sie tat gut daran, denn die Versprechungen des Frosches taugten nichts.
    Inhaltsleeres Froschgequake hört man allerorten – vor allem natürlich in der Politik. Doch nicht immer sind es die Politiker selbst, die beim Sprechen Seifenblasen produzieren. Oft werden ihre Worte erst bei der Wiedergabe zu Seifenblasen.
    »Bundeskanzler Schröder kündigte an, die Bedingungen für Arbeit verbessern zu wollen«, ist in der Zeitung zu lesen. Na bitte, immerhin, es tut sich was. Nach all den Fehlschlägen und Enttäuschungen der letzten Zeit geht der Kanzler wieder in die Offensive, packt was an, setzt sich mit Unternehmern und Gewerkschaftern an einen Tisch … und kündigt Verbesserungen an. Alles wird gut!
    Doch halt – haben wir da nicht etwas überlesen? Was genau kündigte Schröder laut der Zeitung an? Gleich mal die Goldwaage rausholen und die Wörter wiegen. Und siehe da: Die Waage zeigt überhaupt nichts an. Also doch wieder nichts als heiße Luft! Das Überraschungsei ist leer!
    Wie kommt’s? Die Antwort auf diese Frage liegt in einer syntaktischen Fallgrube, in die immer dann jemand stolpert, wenn direkte Rede in indirekte verwandelt wird. Zu Beginn stand ein großes Wort im Raum: »Wir wollen die Bedingungen für Arbeit verbessern.« Schröder war’s, der das gesagt hat. Die korrekte Wiedergabe dieser Aussage in indirekter Rede liest sich so: »Schröder sagte, er wolle die Bedingungen für Arbeit verbessern.« Wenn aber das Wort »sagen« durch »ankündigen« ersetzt wird, enthält der Satz auf einmal mehr Wörter als nötig.
    Durch diesen »Übersetzungsfehler« wurden die Worte des Kanzlers entwertet, denn von der versprochenen Verbesserung bleibt nichts weiter als die Aussicht auf ein bisschen guten Willen. Das Wollen ist bereits im Ankündigen enthalten, die Niederschrift des Modalverbs ist nicht mehr nötig. Es genügt völlig, wenn man schreibt: »Schröder kündigte an, die Bedingungen für Arbeit zu verbessern.«
    Was für die Ankündigung gilt, gilt übrigens auch für das Versprechen: »Der Vorstand versprach, im nächsten Jahr deutlich mehr Umsatz machen zu wollen.« Ein Lichtblick in Zeiten der Rezession, könnte man meinen. Doch so, wie dieser Satz formuliert ist, bedeutet er nicht mehr, als dass eine Gruppe von hoch bezahlten Managern den versammelten Aktionären die Entwicklung ihres Willens in Aussicht gestellt hat.
    »Zu offensichtlich ist Bsirskes Versuch, sich damit als einer der mächtigsten Gewerkschaftsführer persönlich profilieren zu wollen«, war über den Ver. di-Chef zu lesen. Netter Versuch! Bsirske bemüht sich um Gestaltung seines Willens – immerhin ein Anfang.
    In einem Text über einen in Deutschland spielenden brasilianischen Fußballprofi heißt es: »Am Dienstag drohte der 29-Jährige seinen Chefs, seinen Vertrag über 2004 hinaus nicht verlängern zu wollen.« Müssen die Chefs deswegen nun zittern? Der Brasilianer hat doch nur mit seinem Willen gedroht! Eine echte Drohung hört sich anders an. Die klingt zum Beispiel so: »Am Dienstag drohte der 29-Jährige, seinen Vertrag über 2004 hinaus nicht zu verlängern.«
    Ankündigen, versprechen, drohen, erwägen – all diese Wörter verfügen bereits über einen eingebauten Willen – serienmäßig, ohne Aufpreis.

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