Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)
Lübecker Buddenbrooks geht zurück auf den pommerschen Ortsnamen Buddenbrock. Um zu verhindern, dass alle Welt seine Romanfamilie mit kurzem »o« spricht, hat Thomas Mann sich für die (untypische, aber unmissverständliche) Schreibweise mit Doppel-o entschieden. Auch Namen wie Brockhaus und Brockmann wurden früher mit langem »o« gesprochen.
Ein weiteres Beispiel für das norddeutsche Dehnungs-c liefere ich übrigens selbst. Der norddeutsche Name Sick leitet sich nämlich von Siegfried ab und wurde lange Zeit entsprechend mit langem »i« gesprochen. Alteingesessene Norddeutsche sprechen ihn auch heute noch so aus: »Moin, Herr Sieeek!«
Die umgangssprachliche Verkürzung »Meck-Pomm«, die das nordöstliche Bundesland klanglich in die Nähe eines Fastfoodprodukts befördert, ist scherzhaft, aber keineswegs herabwürdigend. Wir Deutschen sind schließlich ein durchaus genussfreudiges und genießbares Volk: Man denke nur an Frankfurter (Würstchen), Berliner (Pfannkuchen), Hamburger (Frikadellen) und Thüringer (Bratwurst).
Und täglich berichten die Kreise
Wir alle haben schon oft gehört oder gelesen, dass jemand in bestimmten Kreisen verkehrt, und gelegentlich sieht man auch, wie sich jemand im Kreisverkehr verfährt. So etwas lässt sich erklären. Doch was zum Teufel hat es mit all den vielen Kreisen auf sich, aus denen ständig und immerzu zitiert wird?
Kaum schlägt man die Zeitung auf oder ruft seine Lieblingsnachrichtenseite im Internet auf, schon stolpert man über sie: Regierungskreise, Unternehmenskreise, Militärkreise, Führungskreise – Kreise, wohin das Auge blickt. Kreise in allen Formen und Größen. Selbst vor Kardinalskreisen und Rebellenkreisen ist man nicht sicher.
Kreise sind die Kronzeugen des Zeitgeschehens. Was immer in Politik und Gesellschaft getuschelt, gemunkelt, geklatscht und spekuliert wird – die Nachrichtenwelt erfährt es meistens aus irgendwelchen Kreisen.
Wie entstehen solche Kreise? Zum Beispiel so: Ein Reporter ruft einen Staatssekretär an, um ihm eine Stellungnahme zu einem brisanten Thema zu entlocken. Der Staatssekretär salbadert in gewohnter Manier drauflos, redet sich richtig schön in Fahrt, lässt sich zu leichtsinnigen Äußerungen hinreißen, beleidigt seine politischen Gegner und gibt womöglich parteiinterne Geheimnisse preis – und wenn der Reporter fragt: »Kann ich das zitieren?«, dann lautet die Antwort: »Aber halten Sie meinen Namen raus! Das haben Sie nicht von mir, haben Sie mich verstanden?« Da es sich der Reporter mit dem Staatssekretär nicht verscherzen will, hält er sich daran, und so liest man anderntags in der Zeitung: »… hieß es aus Kreisen der Regierung.«
Kreise sind für den Journalisten ein wichtiges Hilfsmittel, fast noch wichtiger als die automatische Rechtschreibprüfung von Microsoft. Denn viele Informationen kämen nie oder nur mit erheblicher Verspätung in Umlauf, wenn man sich nicht auf »Kreise« berufen könnte. Oftmals werden Informationen überhaupt nur unter der Bedingung preisgegeben, dass der Name des Informanten nicht genannt wird. »Das habe ich Ihnen unter zwei gesagt«, bekommt der Journalist dann zu hören. Das ist für ihn das Signal, beim Zitieren auf »Kreise« auszuweichen. »Unter eins« bedeutet: »Sie dürfen mich wörtlich zitieren.« Aussagen, die man »unter zwei« gesagt bekommt, darf man zitieren, aber ohne Nennung der Quelle; und alles, was man »unter drei« gesagt bekommt, das muss man ganz für sich behalten, jedenfalls fürs Erste.
Je heißer das Eisen, das ein Journalist anfassen will, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ihm als zitierfähige Quellen nur ominöse Kreise zur Verfügung stehen.
Adelsreporter zum Beispiel brächten ohne Kreise vermutlich keine einzige Zeile zu Papier. Kaum hat mal wieder jemand im Buckingham-Palast gegen die Etikette verstoßen und die Queen ihrem Ärger beim nachmittäglichen Fünfuhrtee Luft gemacht, liest man beim Friseur: »Wie aus Palastkreisen verlautete, war die Queen not amused .« Für viele Briten mag der Buckingham-Palast der Nabel der Welt sein, um den sich alles dreht. Daher ist die Assoziation eines Kreismittelpunktes, von dem aus sich beim geringsten Hüsteln der Queen konzentrische Ringe über die gesamte Oberfläche der britischen Gesellschaft verbreiten, nicht ganz abwegig. Wer sich mit der Regenbogenpresse auskennt, weiß aber, dass die Kreise vor allem aus Geiern bestehen, die unaufhörlich um den Palast flattern, die Kamera
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