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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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eine Antwort: »Das geht zurück auf die wilden Siebziger! Damals hat doch jeder Journalist Trips eingeworfen, davon bekam er Halluzinationen und sah lauter psychedelische Kreise. Das wirkt offenbar bis heute nach.« Vielleicht hat er Recht. Die Welt mag sich im Kreis drehen, in der Medienwelt dreht sich alles um Kreise.
    »Störe meine Kreise nicht«, soll der griechische Gelehrte Archimedes einem römischen Soldaten zugerufen haben, der nach der Eroberung von Syrakus in sein Haus eindrang. Gemeint waren die geometrischen Figuren, die Archimedes in den Sand gezeichnet hatte. Dieser Ausspruch steht, in leicht abgewandelter Form, im Gebetbuch manches Journalisten gleich auf Seite eins: »Bitte lasst mir meine Kreise!« Er soll sie ja auch behalten. Nur soll er pfleglich mit ihnen umgehen, das heißt sie nicht überstrapazieren und vor allem nicht unerklärt lassen. So verlautet aus Zwiebelfischkreisen.

Provozierend provokant
    Frage einer Leserin: Was ist der Unterschied zwischen provozierend, provokativ und provokant?
    Antwort des Zwiebelfischs: »Duden« und »Wahrig« schreiben den drei Begriffen keinen erkennbaren Bedeutungsunterschied zu. Schlägt man unter »provokant« und »provokativ« nach, so findet man als Erklärung »herausfordernd, provozierend«. Dafür kennen die Wörterbücher noch eine vierte Variante: provokatorisch – was ebenfalls dasselbe bedeutet.
    »Provozierend« wurde im 16. Jahrhundert aus dem lateinischen pro-vocare entlehnt, »provokant« gelangte im 17. Jahrhundert aus dem Französischen (provocant) in unsere Sprache. »Provokativ« ist wiederum eine Ableitung des Provokateurs, der erst im 20. Jahrhundert aus Frankreich kommend in den deutschen Sprachraum eindrang. »Provozierend« ist demnach die älteste Form, die von Gelehrten gebildet wurde, um künstlich hervorgerufene Reaktionen in naturwissenschaftlichen Disziplinen benennen zu können. So spricht man beispielsweise von krebsprovozierenden Substanzen, neuerdings wohl auch von »Krebs provozierenden« Substanzen, nicht aber von krebsprovokanten Substanzen. Provokant kann dafür eine Äußerung oder ein Verhalten sein, der Begriff scheint eher gesellschaftlicher als wissenschaftlicher Natur zu sein. Dasselbe gilt für provokativ. Und wer sich wie ein Provokateur, also wie ein Aufwiegler verhält, der verhält sich provokatorisch.
    Der Jugendjargon hält übrigens noch eine weitere Ableitung bereit: Wer gerne demonstriert und Krawalle liebt, der ist »voll provomäßig drauf«. Womit wir gleich beim nächsten Thema wären …

Die maßlose Verbreitung des Mäßigen
    Dass die Umgangssprache einem Rinnsal gleich immer nach dem kürzesten Weg sucht, ist nachweislich falsch. Viele Menschen könnten ihre Telefonkosten halbieren, wenn sie sich angewöhnten, auf überflüssige Wortanhängsel zu verzichten. Doch das fällt offenbar genauso schwer wie der Verzicht auf Süßes und Kartoffelchips.
    Gemessen am Unglück anderer geht es uns Deutschen eigentlich recht gut, und trotzdem ist eines der am häufigsten gehörten Wörter in unserer Alltagssprache »mäßig«. Manche Gespräche strotzen geradezu vor Mäßigkeiten: »Und wie klappt es bei dir so, beruflich und privat?« – »Jobmäßig läuft alles normal, urlaubsmäßig haben wir zwar noch keine Pläne, aber beziehungsmäßig sind wir im Moment total happy, das lässt sich nicht anders sagen!«
    Doch, will man spontan widersprechen, das lässt sich anders sagen! In gemäßigterer Form nämlich, ohne all die überflussmäßigen Wortanhängsel. Stilistisch ist so ein Redebeitrag nämlich eine Zumutung; notenmäßig bekäme er bestimmt kein »Gut«, nicht einmal ein »Befriedigend«, sondern bestenfalls ein »Mäßig«.
    Tatsächlich, um nicht zu sagen »tatsachenmäßig« lässt sich feststellen, dass die Deutschen auf das Suffix »-mäßig« nicht mehr verzichten können. Selbst der Duden räumt ein, dass das Wort »mäßig« heute »eine überaus große Rolle als Suffix« spiele. Ursprünglich, wenn nicht gar »ursprungsmäßig« geht »mäßig« auf »Maß« zurück, und bei den Begriffspaaren gleichmäßig/Gleichmaß, ebenmäßig/Ebenmaß und mittelmäßig/Mittelmaß lässt sich die unmittelbare Verwandtschaft nicht leugnen. Doch was sind Jobmaß, Urlaubsmaß und Beziehungsmaß? Von Maßhalten kann angesichts der inflationsmäßigen Verbreitung der Endung keine Rede sein.
    Die Zeiten sind vorbei, da man dieses Phänomen noch als Jugendjargon oder WG-Küchengeschwätz abtun konnte.

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