Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
Dialektforschende Institute haben Landkarten erstellt, auf denen die regionaltypischen Ausdrücke in sämtlichen Schreibweisen verzeichnet sind. Und immer wieder tauchen neue Varianten auf.
In Norddeutschland überwiegen »Kanten« und »Knust«, von denen Letzteres auf das mittelniederdeutsche Wort knust zurückgeht, welches »knotiger Auswuchs«, »Knorren« bedeutet. In Bayern herrschen »Ranftl« (verwandt mit Rahmen und Rand) und »Scherzl« vor, und in Sachsen sagt man »Rändl« und »Ränftl«. In den rheinischen Regionen wird es besonders drollig, da hört man, wenn man nach dem Brotrest fragt, ein Knuspern und Knäuspern wie im Märchen: »Knörzchen« wird er zum Beispiel in Hessen genannt, »Knieschen« in Rheinland-Pfalz, »Knützchen« am Niederrhein und »Knäbberchen« im Siegerland. Auffällig ist, dass viele dieser Wörter mit »Kn« beginnen. Der »Kn«-Anlaut ist in der deutschen Sprache bezeichnend für rundliche Gegenstände und Verdickungen. Knust, Knäppchen und Knörzchen gehören zur selben Wortfamilie wie Knauf,Knödel, Knobel, Knolle, Knopf, Knorpel, Knorren, Knospe, Knoten und Knubbel.
Mitunter wird ein Ausdruck sowohl für den Brotrest als auch für den Apfelrest verwendet, so wie beim Wort »Knust«, das im Allgemeinen den Brotrest bezeichnet, in Hamburg aber auch den Apfelrest. Bei anderen Begriffen (wie dem »Krüstchen«) herrscht Unklarheit darüber, ob damit nur der Brotrest oder nicht die gesamte Brotrinde gemeint ist.
Von der Wurst ist bekannt, dass sie zwei Enden hat. Das gilt aber nicht für die Wurst allein, sondern auch für das Brot. Während das erste Stück eines frischen Brotes meistens gern gegessen wird, bleibt das Endstück oft liegen. In einigen Gegenden wird daher zwischen einem »lachenden« und einem »weinenden« Ende unterschieden. So kennt man zum Beispiel im Münsterland die Ausdrücke »Lacheknäppchen« und »Weineknäppchen« für den vorderen und den hinteren Brotkanten, und im Oldenburger Raum den »Lacheknust« und den »Brummeknust«.
Die Form des Brotrestes erinnert in gewisser Weise an ein anderes, ebenfalls sehr beliebtes »Endstück«: das menschliche Gesäß. Daher kursieren in einigen Regionen zärtlich-scherzhafte Ausdrücke für den Brotrest, die daneben auch für den Popo gebraucht werden, zum Beispiel »Föttchen« im Rheinland, »Boppes« im Westerwald und »Ärschl« in Sachsen.
In diesem Zusammenhang darf eine Anekdote aus Österreich nicht fehlen. In Wien sagt man zum Brotrest »Buckl« (= Buckel). Und zur Käsekrainer, der beliebten Bockwurst, sagt man auch »Eitrige«. Das klingt nicht besonders appetitlich, aber schmecken soll sie trotzdem. Zu Wurst und Brot gehört natürlich auch ein Bier, vorzugsweise aus der Dose. Ein sehr bekanntes Bier in Wien, das »Ottakringer«, benannt nach dem 16. Wiener Gemeindebezirk, wird so zum »sechzehner Blech«. Und so lautet die in bestem Wienerisch vorgetragene Bestellung am Wiener Würstelstand: »Heast, Oida, gib mir a Eitrige mit an Buckl und an sech-zehner Blech!« Für einen Nicht-Wiener eine mehr als rätselhafte Bestellung.
Eine häufig gestellte Frage lautet: Gibt es eine offizielle Bezeichnung für den Brotrest, die in allen Gegenden des deutschen Sprachraums gilt? Die Bäcker kennen das Wort »Anschnitt«, und daneben gibt es auch »Abschnitt«, beides sind Wörter der Hochsprache, doch sie sind nicht annähernd so klangvoll wie die mundartlichen Formen. Daher wird es ihnen kaum gelingen, die regionalen Varianten zu verdrängen, denn die sind bildhaft, liebevoll, ja geradezu zärtlich, so wie Knäppchen, Knärzi und Zipfeli. Das könnten auch Kosenamen für den geliebten Partner sein. Der wird ja ge-legentlich auch »Lebensabschnittsgefährte« genannt. Das klingt genauso unpersönlich wie Brotabschnitt. Wenn wir an unserem Lebensabschnittsgefährten knuspern, dann sagen wir doch lieber »mein Schatz«, »mein Herzi«, »mein süßes Mäuschen« – so wie zum Brotrest »mein Scherzl«, »mein Knärzie«, »mein süßes
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