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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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andersherum und lässt Wörter länger werden, ohne dass es dafür einen erkennbaren Grund gibt. So geschehen mit »allein«, das man oft auch als »alleine« antrifft, was aber nicht der Standardsprache entspricht.
    [g] geschleift/geschliffen
    Das Verb schleifen im Sinne von »glatt oder scharf machen« wird unregelmäßig gebeugt: schleifen, schliff, geschliffen; er schliff die Sense; das Messer wurde geschliffen; ein geschliffener Diamant.
    Das Verb schleifen in der Bedeutung »einebnen« wird hingegen regelmäßig gebeugt: schleifen, schleifte, geschleift; die Römer schleiften die Befestigungsanlage; die Mauern der Stadt wurden geschleift.
    Auch »schleifen« im Sinne von »hinter sich herziehen« wird regelmäßig gebeugt: Der Mörder schleifte sein Opfer bis zur Brücke; ich habe den Koffer die ganze Strecke hinter mir hergeschleift.
    [g] gestanden haben/gestanden sein
    Wie wird das Perfekt von »stehen« gebildet – mit haben oder mit sein? Heißt es »Ich habe gestanden« oder »Ich bin gestanden«? Und wo wir gerade dabei sind: Wie verhält es sich mit »sitzen« (gesessen) und »liegen« (gelegen)?
    Die Faustregel lautet, dass nur Verben der Bewegung mit »sein« konjugiert werden. Davon gibt es eine ganze Menge, hier sehen Sie einige Beispiele:
     
    gehen, kommen, schlendern, spazieren, stolzieren, marschieren, stapfen, wandern, wandeln
    laufen, rennen, eilen, hetzen, jagen, fliehen, flüchten
    fahren, reisen, fliegen, reiten, segeln 16 , rudern 16
    rasen, rollen, brettern, dampfen, düsen, flitzen, sausen
    klettern, steigen, klimmen, kraxeln
    springen, hüpfen, hopsen
    fallen, stürzen, stolpern, straucheln, eiern, kippen
    aufwachen, aufstehen, auftauen, schlüpfen
    ausbrechen, einbrechen, entweichen, entkommen
    schwimmen 16 , tauchen 16 , sinken
    watscheln, flattern, schleichen, traben, galoppieren, hoppeln, tapsen, gleiten, rutschen, robben, kriechen, stampfen, trampeln u. v. m.
     
    Die Verben »stehen«, »liegen« und »sitzen« drücken keine Bewegung aus, daher werden sie standardsprachlich mit »haben« konjugiert: Ich habe gesessen, ich habe gelegen, ich habe gestanden.
    In Süddeutschland und in Österreich sagt man dennoch »Ich bin gesessen«, »Ich bin gelegen« und »Ich bin gestanden«. (Was sich im Badischen, Schwäbischen und in der Pfalz etwa so anhört: »Ich bin g’stande«, »Ich bin g’lege«, »Ich bin g’sesse«, während es in Bayern eher so klingt: »I bin g’standn«, »I bin g’legn«, »I bin g’sessn«.) Im Süden gilt offenbar auch der Stillstand als Bewegung. Analog zur Annahme: Auch Null ist eine Zahl. Kann man ja so sehen. Beamte würden’s sofort unterschreiben. Ich find’s charmant, wie fast alles, was aus dem Süden kommt.
    Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass natürlich auch die Süddeutschen und die Österreicher »stehen« und »sitzen« in Verbindung mit »haben« kennen – und zwar im übertragenen Sinne: Erst hat er gestanden (= ein Geständnis abgelegt), dann hat er gesessen (= er war im Gefängnis).
    Und schließlich wird das Verb »bleiben«, das gleichfalls eher eine Un-Bewegung als eine Bewegung beschreibt, auch standardsprachlich mit »sein« konjugiert: »Weil’s so schön ist, wo der Pfeffer wächst, bin ich dort geblieben.«
    16 Diese Verben können auch mit »haben« konjugiert werden, wenn nicht die Fortbewegung von Punkt A nach Punkt B im Vordergrund steht, sondern die reine Betätigung: Ich habe im Urlaub getaucht.
Vor dem Frühstück hat sie regelmäßig eine Stunde geschwommen.
Bevor er mit dem Golfspielen anfing, hat er geritten.
Früher haben Sklaven gerudert.
    [g] gucken/kucken
    Das Verb »gucken« ist umgangssprachlich. Im norddeutschen Raum sagt man »kucken«, und man darf es sogar mit einem Anfangs-»k« schreiben, jedenfalls findet man diese Schreibweise im Wörterbuch.
    Die Herkunft des Wortes lässt sich nicht genau klären. Möglicherweise stammt es aus der Kindersprache. Noch heute lernen unsere Kleinen das Hinschauen mithilfe des Ausrufs »Kuckuck«. Zum Beispiel: »Kuckuck, hier ist die Mami!«
    Dass gerade die Norddeutschen »gucken« nicht nur in der Mitte, sondern auch vorne mit »k« sprechen (und bisweilen auch schreiben), liegt an der Nähe zum plattdeutschen Wort »kieken«, was dasselbe bedeutet, nämlich »schauen«: »Wat kiekste so?« – »Mutter, kiek mal ausm Fenster, Orje will nich jloben, datt de schielst!«
    Üblich ist allerdings die Schreibweise mit »g«: ich gucke, du guckst, sie guckt, guck

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