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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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beiden« in meiner iTunes-Maske als »Liebling, Was Wird Nun Aus Uns Beiden« erschien, dachte ich: »Liebes Land, was wird nur aus deiner Rechtschreibung?«
    Nun mag manch einer denken: »Das Ist Doch Halb So Schlimm« – mich aber lässt es nicht kalt. In meinen Augen ist die Allwortgroßschreibung weder zeitgemäß noch praktisch oder schick, sondern einfach nur lästig. Außerdem bedeutet sie eine weitere Kapitulation der deutschen Sprachkultur vor der amerikanischen Übermacht. Den Anbietern solcher Datenbanken sind derlei Überlegungen vermutlich herzlich egal. Deutschsprachige Titel stellen in der Gesamtmasse aller gespeicherten Musiktitel eine verschwindend kleine Menge dar. Aber dieses Problem betrifft ja nicht nur die deutschsprachige Musik: Auch französische, italienische, niederländische und schwedische Lieder werden mit großen Initialen geliefert. Und von diesen Sprachen weiß ich mit Sicherheit, dass sie noch nicht einmal die Großschreibung von Hauptwörtern kultivieren. Das ist eine (von vielen oft verwünschte) deutsche Einzigartigkeit.
    Wie kommen iTunes, Amazon und andere Musikanbieter überhaupt zu ihren digitalen Angaben? Werden Millionen einzelner CD-Listen, so wie einst die deutschen Telefonbücher, irgendwo in China oder Indien von billigen Arbeitskräften Titel für Titel, Wort für Wort abgetippt? Wahrscheinlicher ist doch, dass die Daten von den deutschen Plattenfirmen gleich mitgeliefert werden. Und dass die Verursacher der Großschreibsucht nicht in den Firmenzentralen irgendwelcher amerikanischer Großkonzerne, sondern im eigenen Land sitzen.
    Ich stelle mir das ungefähr so vor: Eines Tages klingelte es wieder mal im Büro des Geschäftsführers eines großen deutschen Tonträgerkonzerns. »Was gibt’s?« – »Ich bin’s, Chef, der Dateneingabe-Aushilfsstudent! Ich hab da mal eine Frage: Hier ist ein Lied mit dem Titel ›Die Männer im allgemeinen‹. Auf der CD steht ›im allgemeinen‹ klein, aber seit der Rechtschreibreform schreibt man ›im Allgemeinen‹ ja groß. Das Lied stammt allerdings noch aus der Zeit vor der Rechtschreibreform. Was soll ich nun machen?« Chef (schäumend): »Das ist mir doch egal! Was interessiert mich die Rechtschreibreform? Was interessiert mich überhaupt die Rechtschreibung? Wir Schreiben Hier Ab Sofort Jeden Anfangsbuchstaben Groß, So Wie’s Die Amerikaner Machen, Und Damit Basta!«
    Ein historischer Beschluss mit weitreichenden Konsequenzen. Die meisten deutschen Musikredaktionen haben es klaglos geschluckt und stellen deutsche Alben und Lieder mit großen Initialen vor. Egal ob aktuelle Popstücke oder traditionelles Liedgut – von der Allwortgroßschreibung bleiben auch »Leise Rieselt Der Schnee« und »Horch Was Kommt Von Draußen Rein« nicht verschont. Filmverleihe und Programmredaktionen werden eines Tages gleichziehen und Fernseh- und Kinofilme mit großen Initialen ankündigen:
20:15, ZDF: »Spiel Mir Das Lied Vom Tod«
23:00, ARD: »Denn Sie Wissen Nicht, Was Sie Tun«
    Am Ende werden auch Feuilleton und Buchverlage einknicken. Ich sehe schon mein nächstes Buch vor mir: »Die Datenbank Ist Der Rechtschreibung Ihr Tod«.
    In diesem Zusammenhang darf ein weiterer Hinweis nicht fehlen: Nur allzu oft verwechseln die emsigen Dateneingeber den Apostroph mit dem Akzent. Das Zeichen für den Apostroph ist nicht ´, sondern ’. Es heißt also nicht: »Heut´ Abend hab´ ich Kopfweh«, sondern allenfalls »Heut’ Abend hab’ ich Kopfweh«. Im Übrigen kann man auf beide Apostrophe ganz verzichten. Damit hätte man das Kopfwehrisiko schon mal um die Hälfte gemindert. Dass der Akzent kein Apostroph ist, gilt übrigens in allen Sprachen: Der französische Chansontitel »Je N´sais Même Plus De Quoi J´ai L´air« wird in Wahrheit so geschrieben: »Je n’ sais même plus de quoi j’ai l’air«.
    Ich bin sicher, dass ich in unseren Nachbarländern zahlreiche Verbündete habe. Dass es ebenso Franzosen und Niederländer gibt, die über die absurde Titelgroßschreibung und Apostrophverwechslung klagen und diese nicht widerspruchslos hinzunehmen bereit sind. Neben der Verunstaltung der Orthografie verbindet uns noch ein weiteres Merkmal: Wir sind die Kulturen, deren landeseigenes Liedgut von internationalen Datenbanken meist als »World« verschlagwortet wird. Bei Briten und Amerikanern wird zwischen »Pop«, »R&B«, »Rock«, »Singer/Songwriter«, »Vocal«, »Jazz«, »Dance« und »Country« unterschieden – was wir Deutschen,

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