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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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haben etwas Direktes, Unmittelbares; Verben sind emotional. Wenn ein Politiker zugibt, dass er auf etwas hofft oder sich vor etwas fürchtet, wirkt er viel zu sehr aus Fleisch und Blut. Lieber versteckt er sich hinter einer hölzernen Nominalkonstruktion, das verleiht ihm scheinbare Autorität und Kompetenz und macht ihn weniger angreifbar.
    Viele Menschen tun sich schwer damit, die Worte »ich liebe dich« über die Lippen zu bringen. Ein Politiker würde ein derart emotionales Geständnis ohnehin ganz anders formulieren. Bei ihm klänge es vermutlich so: »Ich habe in Bezug auf dich die Wahrnehmung einer Empfindung der Zuneigung.«

Wo Geld ist, ist auch Sinn
    Unrecht gedeiht nicht? Verbrechen lohnt sich nicht? Alles Unsinn! Mancher Einbruch wäre durchaus sinnvoll, wenn es nur anständig was zu holen gäbe! Das sehen nicht nur Diebe so, sondern offenbar auch immer mehr Ladeninhaber.
    Auf der Suche nach Zerstreuung wandelte ich eines Abends durch die matt erleuchteten Straßen meines Viertels. Da fiel mein Blick auf ein Hinweisschild im Schaufenster eines Geschäftes, auf dem folgender Satz stand: »Einbruch sinnlos, es befindet sich kein Geld in der Kasse!!!« Mit drei Ausrufezeichen. Ich wurde stutzig. Irgendetwas an diesem Satz war ungewöhnlich. Es waren nicht die drei Ausrufezeichen, sondern die Unterstellung von Sinn im Zusammenhang mit Eigentumsdelikten.
    Die Warnung impliziert nämlich, dass ein Einbruch durchaus sinnvoll sein könnte, wenn sich Geld in der Kasse befände. Was wiederum zum logischen Schluss führt, dass Verbrechen nicht grundsätzlich sinnlos sind, sondern nur dann, wenn es nichts zu holen gibt. Die Konsequenzen wären erheblich, unser Rechtssystem müsste völlig neue Maßstäbe ansetzen: Der Diebstahl einer Handtasche, in der sich kein Bargeld, sondern nur Schminksachen befanden, ist aufgrund seiner Sinnlosigkeit gnadenlos zu ahnden. Bei Steuerhinterziehungen in Millionenhöhe hingegen müssen mildernde Umstände geltend gemacht werden, da die Tat zwar kriminell, aber immerhin höchst ertragreich und somit sinnvoll war. Philosophen und Esoteriker können aufhören, nach dem Sinn des Lebens zu suchen: Er wurde gefunden! Der Hinweis im Schaufenster bricht die Sinnfrage auf eine denkbar einfache Formel herunter: Wo Geld ist, da ist Sinn!
    Nun fragt sich, was der Ladenbesitzer denn anderes hätte schreiben sollen. »Einbruch nutzlos«? Damit unterstellte man, dass Einbrüche auch nützlich sein können. »Einbruch nicht lohnend«? Das stellte das Wort »Lohn« in einen ähnlich fragwürdigen Zusammenhang wie den Sinn. Gehen wir analytisch vor: Bevor Einbrecher von der Polizei verfolgt werden, verfolgen sie selbst etwas, nämlich ein Ziel, einen Zweck. Und der »Zweck« an sich ist – anders als der von uns allen gesuchte Sinn – kein positiv besetztes Wort, sondern neutral. Erst ein Adjektiv wie »gut« macht den Zweck zu etwas Positivem. Einbrüche können folglich »zwecklos« sein, ohne im Umkehrschluss als »zweckvoll« aufgewertet zu werden. Sinn und Zweck gehen sprachlich zwar oft Hand in Hand, sind aber nicht gleichbedeutend. Eine Sache, die sinnvoll ist, kann trotzdem zwecklos sein – und umgekehrt.
    Lassen wir Sinn und Zweck mal außer Acht, so bleibt immer noch die Frage, welche Methoden zur Abschreckung von Dieben und Einbrechern am wirkungsvollsten sind. Dazu gibt es die unterschiedlichsten Auffassungen. Viele setzen auf Alarmanlagen, andere auf Ausrufezeichen, manche auch auf Humor. Ein Kioskbesitzer im brandenburgischen Falkenberg lässt jeden wissen: »Einbruch zwecklos, die besten Dinge sind bereits geklaut.«

Authentifizieren Sie sich!
    Post von einer Behörde ist selten erfreulich. Und schon gar nicht leicht verständlich. Viel zu komplizierte Sätze, viel zu viele Fremdwörter und ein Ton, der zwar nüchtern sein soll, dabei aber doch autoritär und strafend klingt. Da gerät selbst die gewöhnlichste Feststellung zu einer Anklage.
    Es ist ein grauer Oktobermorgen, aus kahlen Baumkronen ist das Krächzen von Krähen zu vernehmen, gelegentlich begleitet vom Schäckern einer Elster. So bin ich passend eingestimmt, als ich beim Blick in den Briefkasten einen grauen Umschlag vom Finanzamt Hamburg-Mitte vorfinde. Um mich selbst gar nicht erst auf die Folter zu spannen, öffne ich ihn auf der Stelle. In dem nüchtern gestalteten Schreiben wird nicht viel Energie auf Höflichkeiten verwendet, schon im ersten Satz kommt es zu einer Anschuldigung: »Sie haben in der

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