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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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erwartet?« – »Natürlich nicht!«, beteuerte ich. Henry streute ein paar Zutaten in die Soße und sagte: »Ich frage mich, wieso es immer heißt: Das duftet aber köstlich! Das schmeckt aber lecker! So als hätte man mit dem Gegenteil gerechnet, aber dann war’s überraschenderweise doch genießbar!« – »Darüber habe ich mir bisher noch keine Gedanken gemacht«, gestand ich. »Aber jetzt, wo du’s sagst, kommt es mir tatsächlich seltsam vor. Eigentlich ist die Sache sogar ganz witzig.« – »Die Sache ist nicht nur witzig«, stellte Henry fest, »sondern geradezu aberwitzig!«
    Tatsächlich, aber wahr: Das Wörtchen »aber« ist uns so vertraut, dass es auf den ersten Blick keiner Erklärung bedarf. Bei näherer Betrachtung erweist sich »aber« jedoch als ausgesprochen vielschichtig. Da wäre zunächst seine Rolle als Bindewort, das einen Gegensatz oder eine Einschränkung einleitet: »Teuer, aber hässlich«, »Schön, aber zu klein«, »Klein, aber oho!«
    So weit, so gut. Aber das ist erst der Anfang. Darüber hinaus erfüllt »aber« nämlich noch andere Funktionen. In gesprochener Sprache kann es, einem Chamäleon gleich, seine Farbe ändern und je nach Situation eine andere Bedeutung annehmen. Es kann Erstaunen ausdrücken: »Das ging aber schnell!« oder eine Ermahnung: »Sei aber vorsichtig!« Und wenn jemand auf eine Bitte erwidert: »Aber gern!«, dann bewirkt »aber« wiederum etwas anderes, nämlich eine Verstärkung.
    Das Wörtchen »doch« ist genau so ein Fall. Als Bindewort markiert es – genau wie »aber« – einen Gegensatz: »Er rief um Hilfe, doch niemand hörte ihn.« In anderen Zusammenhängen dient es der Verstärkung: »Pass doch auf!«, »Das ist doch seltsam!«
    Die Sprachwissenschaft hat für solche Wörter einen abschreckenden Fachbegriff: Sie nennt sie »Modalpartikeln«. »Partikeln« sind so etwas wie die Krebstierchen im Ozean der Sprache: klein, unscheinbar und überaus vielfältig. Anmerkung Es gibt Ausrufepartikeln (»ätsch!«, »huch!«, »oho!«), Lautmalereipartikeln (»Brrr!«, »kikeriki«, »miau«, »plumps«, »tatütata«, »wusch«, »zack«), sodann Steigerungspartikeln (»etwas«, »ganz«, »sehr«, »ziemlich«) und eben jene Modalpartikeln, die hauptsächlich in der gesprochenen Sprache eine Rolle spielen. Man nennt sie auch »Abtönungspartikeln«, was vielleicht eher an Acrylfarben oder Hautcremes denken lässt als an Grammatik. Noch anschaulicher ist die Bezeichnung »Würzwörter«. Tatsächlich verleihen diese Wörter dem Gesprochenen die gewünschte Würze: Mal wird eine Äußerung dadurch kräftiger, mal milder. Die am häufigsten verwendeten Modalpartikeln sind:
aber (»Jetzt ist aber genug!«)
auch (»So toll ist er auch nicht.«)
bloß (»Ich frag ja bloß.«)
denn (»Was ist denn dabei?«)
doch (»Das ist mir doch egal!«)
eben (»Dann bleibst du eben zuhause.«)
eigentlich (»Wusstest du das eigentlich schon?«)
einfach (»Ich möchte das einfach nicht!«)
etwa (»Hast du das etwa gewusst?«)
halt (»Dann sage ich halt nichts mehr.«)
ja (»Pass ja auf!«, »Ich hab’s ja nur gut gemeint.«)
mal (»Das ist mal wieder typisch.«)
nur (»Ich würd’s nur gerne wissen!«)
ruhig (»Du kannst ruhig mal was für deine Gesundheit tun!«)
schon (»Das ist schon etwas schwieriger«, »Wer könnte das schon sagen?«)
überhaupt (»Das kommt überhaupt nicht in Frage!«)
vielleicht (»Du hast vielleicht Nerven!«, »Der war vielleicht lustig!«)
wohl (»Du spinnst wohl!«)
    Diese lassen sich übrigens auch miteinander kombinieren:
Das war aber auch nötig!
Wer hat denn eigentlich gewonnen?
Das ist ja wohl die Höhe!
Komm doch ruhig mal wieder vorbei.
    Deutschen Muttersprachlern bereiten diese kleinen würzenden Wörter kaum Schwierigkeiten: Wir nehmen sie quasi mit der Muttermilch auf und gebrauchen sie intuitiv. Wer hingegen Deutsch als Fremdsprache lernt, hat mit den Modalpartikeln seine liebe Not. In anderen Sprachen gibt es meistens keine wörtliche Entsprechung dafür. Im Englischen gibt es immerhin ein paar wie »actually«, »just«, »really« und »anyway«, aber »Du bist ja verrückt!« heißt nicht etwa »You’re yes crazy!«, und die Feststellung »Das war’s dann wohl!« lässt sich nicht mit »That was it then well!« übersetzen.
    Lehrer, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten, müssen daher einige Verrenkungen leisten, um zu erklären, was genau diese Wörter bedeuten und in welchem Zusammenhang sie zum Einsatz

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