Der David ist dem Goliath sein Tod
Schwiegermutter meines Bruders, von uns »Oma Christel« genannt, und durfte so ziemlich alles.
So saà Struppi an Geburtstagen stets auf einem eigenen Stuhl und glotzte doof über die Kaffeetafel, während wir versuchten beim Torteessen seinem nach Arsch riechenden Atem auszuweichen.
Er war nicht im herkömmlichen Sinne süÃ.
An sich sah er aus, als hätte man eine graue FuÃmatte auf eine Werkbank genagelt, und von einem Gesicht konnte jetzt auch nicht direkt die Rede sein. Gäbe es im Universum einen Planeten mit intelligenten Hunden, die sich eine hochentwickelte Technologie erschaffen hatten, würden diese Tiere Struppis Gesicht als Karnevalsmaske tragen.
Struppi war Chef in Oma Christels Bude. Wenn wir bei seinem betagten Frauchen zu Besuch waren, machte Struppi keine langen Faxen. Er hatte es nicht so mit subtilen Avancen, da wurde mir umstandslos die Wade durchgevögelt. »Ich werde dir eines Tages eine Kugel verpassen«, flüsterte ich Struppi einmal zu, nachdem er wieder dazu angesetzt hatte, mir das Hosenbein zu schwängern. Mein Bruder sagte: »Da wirste mit einer nicht auskommen.«
Das war eine gern genutzte Formulierung meines Bruders. Er nutzte sie beim Eindrehen von Schrauben, dem Anziehen von langen Unterhosen und als er seine erste Tochter bekam. Meistens hatte er Recht. Eine reicht selten, wovon auch immer. Aber ein Struppi war ihm einer zuviel.
Mir auch.
Mein Bruder wettete gern mit Handwerkern um einen Zehner. Das Spiel hieà »Zunge oder Kreissäge«, denn Struppi schleckte gelegentlich fremde Hände, biss aber auch schon mal in Raserei zu. Das hing von seiner Tagesform ab.
In unserer Siedlung leben einige Gas- und Wasserinstallateure ohne Daumen, aber die Zeiten sind hart, und zehn Euro sind zehn Euro. Glück im Spiel, Pech am Klavier. Das Tier war geisteskrank.
Und niemand glaubte uns das.
Handwerker: »Na, du bist ja ein Feiner!«
Struppi wedelt mit dem Schwanz.
Handwerker: »So ein Feiner!«
Bruder: »Wetten, nicht?«
Handwerker: »Quatsch. Der ist feiiiiin.« Pause. »Wozu brauchen Sie denn den Verbandskasten?«
Bruder: »Ich stehe ja hier. Ich brauch den gar nicht.«
Struppi neigte des Weiteren dazu, sich mit einem Sprung nach oben in den Gardinen zu verbeiÃen und stumm herumzubaumeln, wenn er Gassi musste.
Sein Frauchen sagte dann immer: »Ist das nicht drollig? Ist das nicht drollig?«
Wir fanden das in etwa so drollig wie einen kackenden Pavian, nickten aber meistens nur, denn raus wollten wir mit ihm auch nicht: Mit Struppi Gassi zu gehen hatte was von Counterstrike.
Sinnkrisen waren an der Tagesordnung. Und auch da kam man mit einer nicht aus.
Oma Christel indes liebte das Vieh wirklich mehr als alles andere.
Dann starb Struppi. Völlig unerwartet. Obwohl er alt war.
Wir waren vor Ort, als es geschah. Es war tragisch, aber immerhin hatten wir ein Alibi.
Es wäre fein, zu berichten, dass Struppi einfach entschlafen sei, aber ehrlich gesagt bellte er kurz, schiss dann auf den Teppich und kippte um wie eine Trittleiter.
Oma Christel war untröstlich. Da wir das wussten, versuchten wirâs auch gar nicht.
Mein Bruder schaffte es immerhin, einen Moment betreten auf Struppi zu starren, dann verlieà er wortlos die Wohnung, ging in die Spielothek unten im Haus und wälzte sich mit brüllendem Gelächter auf dem Nadelfilz. Da die Balkontür offen war, hörten wir es bis in den zweiten Stock.
Oma Christel wurde kreidebleich. Ihre Lippen zitterten.
»Trauer hat viele Gesichter«, sagte ich.
Wir hörten deutlich, wie mein Bruder rief: »Endlich ist dieser flusende Kackschemel Geschichte!«
»Sie hat sehr viele Gesichter«, sagte ich. »Mann, hat die Trauer viele Gesichter.«
Mein Bruder schrie: »Der kommt in die Aschentonne, Deckel zu, fertig! Ich mach âne Party! Ach watt â da wirste mit einer nicht auskommen!«
»Trauer«, sagte ich, »hat noch mehr Gesichter als Doktor Mabuse. Mein lieber Scholli. Hat die viele Gesichter.«
Das würde übel werden, ahnte ich.
Wurdâs dann auch.
Mein Bruder hatte drei Tage mehr oder weniger devot auf allen vieren verbracht, den Tierfriedhof in Dortmund-Kley verständigt, das Grab bezahlt, das tragische Ableben Struppis dem Amt gemeldet.
Nach der Ansage mit der Aschentonne war klar: Struppi würde zu Grabe getragen werden wie Lady Di. Jedes Mal, wenn er kleinlaut anrief,
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