Der Deal
der Aufenthalt im Busch öffnete Pater Paul allmählich die Augen. All dieser Luxus der Zivilisation – die geteerten Straßen, die wunderschöne Kirche, die gepflegten Rasenflächen, die Autos, die Kleidung, überhaupt alles – war künstlich. Es war nicht wirklich falsch, doch unnütz angesichts der wirklich wichtigen Dinge im Leben eines Menschen – des Todes, der Angst vor dem Alleinsein, des Bedürfnisses nach Liebe.
Er vermißte seine Frau Sarita sehr.
Aber solche Gefühle waren auch der eigentliche Grund, warum man nach Hause zurückgeschickt wurde – und kein Stammesmitglied werden konnte. Man wurde daran erinnert, weshalb man dorthin gegangen war – um diesem armen Volk die Botschaft Christi zu bringen und es zu bekehren, solange noch eine Spur menschlicher Würde und göttlicher Heiligkeit in ihnen steckte, wenn es schon keine Hoffnung gab, etwas an ihrer Lage zu verändern.
Pater Paul seufzte. Selbst im Schatten schwitzte er noch. Er befürchtete, seinen Glauben an Gott zu verlieren, und argwöhnte, daß er womöglich schon zu einem Marxisten geworden war. Diese Begegnung mit dem Tod in den ersten Stunden seines sogenannten Urlaubs hatte für ihn fast die schicksalhafte Bedeutung einer Botschaft, die da lautete:
›Fall nicht auf die trügerische Sicherheit der zivilisierten Welt herein. Das Ganze ist mehr als zerbrechlich.‹
Er stand auf. In der Garage hatte niemand die Frau angerührt. Obwohl vier Polizisten in Uniform und drei Notärzte herumstanden, schien keiner etwas unternehmen zu wollen. Die Polizisten bildeten zwei Gruppen und schwatzten miteinander.
Er ging hinüber zu Pater Dietrick, der immer noch an einem der Wagen lehnte und die Arme verschränkt hielt. Den Weg vom Flughafen hierher hatten sie sehr genossen – Dietrick war so fasziniert von den Erzählungen von Pater Pauls letzter Missionsreise gewesen, wie es nur jemand sein kann, der noch nie gereist ist. Er war genau so, wie man sich im allgemeinen einen Priester vorstellte – ein liebenswürdiger junger Mann (dabei waren sie im selben Alter!) mit der schlagfertigen Begeisterungsfähigkeit und Offenheit eines Fernsehmoderators, die Pater Paul tolerierte, da Toleranz eine der Tugenden war, an die er glaubte.
»Ich dachte, man müßte sie untersuchen«, sagte Pater Paul.
Dietrick machte die Augen auf und blinzelte in die Sonne. »Einen verdammt netten Empfang bescheren sie uns hier, nicht?«
Pater Paul fragte sich, ab welchem Punkt wohl die Weigerung, mit gesellschaftlichen Konventionen zu brechen, nicht länger eine Tugend war und zu einer bewußten Weigerung wurde, die Verantwortung zu übernehmen. Er sagte aber nur: »Ob sie uns erlauben, ihr die Sterbesakramente zu geben?«
»Sie ist schon tot«, erwiderte Dietrick.
Er nickte. »Wie auch immer, ich frage trotzdem. Es kann nicht schaden.«
In dem Augenblick, als Pater Paul sich umdrehte, um mit den Polizisten zu sprechen, näherten sich zwei weitere Autos dem Pfarrhaus. Der amerikanische Wagen hielt dicht neben dem parkenden Lieferwagen an. Zwei lässig gekleidete Männer stiegen aus. Das andere Auto, eine Art Geländefahrzeug mit offenem Verdeck, fuhr fast in die Garage hinein. Der Fahrer unterschied sich vom Rest der Truppe durch sein energisches Auftreten. Er sprang aus dem Wagen und näherte sich schnellen Schrittes dem Platz, an dem Pater Paul und Dietrick standen.
Ein förmliches Lächeln zeigte sich kurz auf seinem Gesicht und verschwand wieder. »Wo ist Pater Cavanaugh?«
Dietrick antwortete ihm. »Er ist zum Telefonieren hineingegangen.«
»Er ist also im Pfarrhaus?«
Pater Dietrick, der behilflich sein wollte, lächelte. »Wird wohl so sein.«
Der Mann nickte. Die Männer, die aus dem amerikanischen Wagen ausgestiegen waren, gingen nun in die Garage, nachdem sie kurz mit den uniformierten Polizisten gesprochen hatten. Der Mann aus dem Jeep folgte ihnen. Pater Paul trottete gleichfalls hinter ihnen her.
Rose saß immer noch aufrecht da, den Kopf vornüber gebeugt, als ob sie schliefe.
»Sieht ganz friedlich aus«, sagte einer der Amerikaner.
»Sie ist sanft entschlafen«, erwiderte der andere. »So einen Tod wünscht man sich.«
Daraufhin sagte der Mann aus dem Jeep: »Warum sitzt sie auf dem Beifahrersitz?«
»Wie meinen Sie das?«
»Warum sitzt sie nicht hinter dem Steuer?«
Die zwei Amerikaner blickten sich verdutzt an. Auch Pater Paul fand das mit einem Mal seltsam. Sie saß schon seit über einer halben Stunde dort, und niemand hatte das
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