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Der Delta-Stern

Der Delta-Stern

Titel: Der Delta-Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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war allein.
    »Tun Sie mir das nicht an, Lady«, bat Dilford. Genau das, was schon viele Cops vor ihm in einer solchen Situation gesagt hatten. Tun Sie mir das nicht an.
    »Noch näher«, sagte sie ruhig, und ihre Augen leuchteten wie die eines jungen Mädchens. Für einen Augenblick lächelte sie sogar. Ein seliges Lächeln. Das Lächeln einer Märtyrerin auf dem Weg zur ewigen Herrlichkeit.
    Dilford näherte sich jetzt äußerst langsam, und es kam ihm fast so vor, als würde mittlerweile sogar der Wind auf der Überführung stöhnen. Das vom Wind zerzauste Haar der Frau umschloß ihr Gesicht wie eine Maske. Nur die grünen Augen funkelten.
    »Wollen wir nicht doch mal drüber reden?« sagte Dilford. Er sah aus, als ob er jeden Moment losheulen würde. »Lassen Sie mich erst einmal einen Sergeant herholen. Bitte. Ich bin doch bloß …«
    »Näher, viel näher«, sagte sie schmeichelnd, mit ihrem seligen Lächeln.
    Dann begann sie heftig zu atmen, als sie auf dem Hügel in der Ferne das Hospital Queen of Angels sah. Und vielleicht entsprach das ja genau der Vorstellung, die sie von sich selber hatte. Die Queen of Angels – die Königin aller Engel. Die heilige Jungfrau von der Bonnie Brae. Die Madonna der Farbigen.
    »Tun Sie's nicht, Lady, tun Sie's bitte nicht«, sagte Dilford und hielt ihr die ausgestreckte Hand hin. Zentimeter für Zentimeter bewegte er sich auf sie zu, bis er nur noch einen guten halben Meter von ihr entfernt war.
    Und das war der Moment, in dem sie sich dem Jenseits auslieferte. Mit ausgestreckten Armen machte sie eine Gebärde wie alle Heiligen und Märtyrer, die sie jemals bei den Pflastermalern gesehen hatte.
    »TUN SIE'S NICHT, LADY!« kreischte Dilford und sprang auf sie zu, kriegte aber nur noch für Bruchteile von Sekunden einen Capezipfel zu fassen.
    Sie schaute ihn an mit ihren funkelnden Augen und jenem heiligmäßigen Lächeln, das wohl von jeher alle Fanatiker getragen haben, die danach trachteten, gekreuzigt zu werden oder in Jonestown Limonade zu trinken {6} . Ihr Körper war so starr und unbeweglich, als sei er wirklich nur eine Pflastermalerei. Mit ausgestreckten Armen, als wolle sie der Welt alles vergeben, ließ sie sich nach rückwärts fallen, mit dem Kopf zuerst, und gab ihren Geist auf. Auf dem Hollywood Freeway.
    Die frustrierten, vom Smog gequälten, längst halb verrückten Autofahrer auf dem Hollywood Freeway, die, wie so oft in ähnlichen Situationen, kaum wußten, was los war, hatten nicht mal mitgekriegt, daß sie die Madonna der Farbigen verstümmelt hatten. Die ersten drei, die über das weinrote Bündel fuhren, wußten gar nicht, was, zum Teufel, das überhaupt war. Der erste vermutete, er habe einen Irischen Setter erwischt. Ein anderer glaubte, es sei ein Müllsack aus Plastik gewesen. Ein dritter hörte bloß, wie irgend etwas von unten gegen seinen Wagen krachte, und er fürchtete, er habe sein Getriebe verloren.
    Dilfords Reaktion auf seine Begegnung mit der Madonna der Farbigen kam mit großer Verzögerung. Er und Dolly gaben sich zunächst große Mühe, als sie auf der Station ihren ausführlichen Bericht schrieben. Wobei sich Dilford allerdings dauernd fragte, warum sich die Madonna der Farbigen ausgerechnet ihn ausgesucht hatte und nicht die jungen Scharfmacher. Und ob er wohl genug oder zuviel getan, genug oder auch nicht genug gesagt oder am Ende vielleicht doch die falschen Worte gewählt hatte.
    »Hab ich irgendwas Falsches gesagt?« fragte er Dolly, als sie dasaßen und über ihrem Bericht brüteten.
    »Wieso?«
    »Ich dachte, sie wollte meine Hand nehmen. Sie tat so, als ob sie die Hand nehmen wollte. Warum hat sie mich dann trotzdem zurückgewiesen?«
    »Du hast alles richtig gemacht. Das hat ja sogar der Sergeant gesagt. Vergiß es, Dilford.«
    »Ich frag mich ja öfter, ob meine Persönlichkeit die Leute abschreckt«, grübelte Dilford und starrte aus rotgeränderten, verquollenen blauen Augen vor sich hin. »Hab ich nicht doch irgendwas Falsches gesagt?«
    Dilfords erheblich verzögerte Reaktion machte sich bei ihm dann fast genau in dem Augenblick bemerkbar, in dem er nach Feierabend das Haus des Jammers betrat. Dolly war mit ihrem Wagen hinter ihm hergefahren und hatte an seiner Fahrweise nichts Ungewöhnliches bemerkt. Aber er war kaum im Haus des Jammers, als in Gegenwart von Leery, dem Schrecklichen Tschechen und Cecil Higgins eine äußerst merkwürdige Sache passierte.
    Dilford sagte: »Ich hab 'n Gefühl, als hätte ich jede Menge

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