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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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dem Sozialismus eine demokratische Mehrheit beschaffen. Das, was einmal die Neue Linke gewesen war, hatte sich in vernichtende Fraktionskämpfe verstrickt, die am Ende nur noch zermürbend waren. Für diejenigen, die immer noch glaubten, politische Parteien und herkömmliche Überzeugungsarbeit könnten für die internationale Solidarität mit den Unterdrückten in der Dritten Welt und soziale Gerechtigkeit im eigenen Land eine Mehrheit gewinnen, waren nur noch die Grünen oder die Sozialdemokraten übriggeblieben.
    Unterdessen tobte sich der Imperialismus draußen in der Welt ungestört aus. Die USA schickten Bomber und Marinesoldaten in alle Weltgegenden, ohne daß aus Westeuropa etwas anderes als lauwarme Proteste ertönten. Demonstrationen wurden immer seltener und kraftloser, so daß nicht einmal die Polizei sie mehr ernstnahm.
    Es gab nur eine Lösung: Die Dritte Welt mußte aus eigener Kraft siegen, wie die Vietnamesen. Nur so konnten die herrschenden Verhältnisse umgestürzt werden. Insoweit waren sie sich einig. Die Palästinenser beispielsweise durften sich nicht auf Unterstützung aus der westlichen Welt verlassen. Nur ihr eigener Kampf konnte die Entscheidung bringen. Das Volk Nicaraguas hatte vom Westen nichts anderes zu erwarten als mitfühlendes Gemurmel, wenn die USA weitere Geldmittel für direkte oder indirekte Aggressionen lockermachten.
    Deshalb gab es nur zwei Alternativen. Entweder mußte man resignieren und den persönlichen Kampf im eigenen Land aufgeben. Oder man mußte sich dem Kampf der Völker in der Dritten Welt anschließen. Und wie? Selbstverständlich nicht durch die freiwillige Teilnahme am Guerillakampf irgendwo weit weg in fremden Ländern, obwohl die Handvoll europäischer Genossen, die tatsächlich diesen Weg gewählt hatten, größten Respekt verdienten. So gab es etwa in der lateinamerikanischen Stadtguerilla einige Europäer.
    Ihr eigenstes Milieu aber war Europa, und dort schlug eins der zwei Herzen des Imperialismus. Dort konnten die Völker der Dritten Welt nicht zuschlagen.
    Carl hatte immer wieder eingewandt, daß die Effektivität der militärischen Aktionen der europäischen Guerilleros zweifelhaft war. Aber man konnte die Entwicklung in den letzten Jahren sehr positiv beurteilen. Die Genossen in der Bundesrepublik standen nicht mehr allein. In Frankreich wie in Belgien besaß die RAF inzwischen Verbündete, die in der letzten Zeit große Erfolge hatten verzeichnen können. Vielleicht wurden die Guerilleros erst jetzt allmählich zu einer Streitmacht, mit der ernsthaft zu rechnen war.
    Und wäre es nicht eine unmoralische und sinnlose Kritik zu behaupten, die Effektivität sei zu gering? Welcher Genosse hatte das Recht, die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen, die Guerilleros, von denen jeder sein Leben aufs Spiel setzte, arbeiteten ineffektiv?
    Carl hatte zum Schein klein beigegeben, was ihm recht leicht fiel. Er hatte mürrisch erklärt, der Zeitpunkt für die Kritik an ihm sei nicht gerade glücklich gewählt angesichts der Tatsache, daß er jetzt in dieses Vorhaben verwickelt sei. Wenn das Unternehmen gelang und sie die Waffen bekamen, die sie brauchten, würden kritische Äußerungen wegen mangelhafter militärischer Ergebnisse in nicht allzuferner Zukunft von allein verstummen.
    Sobald sie den Wagen verlassen hatten und sich unter anderen Menschen bewegten, wurde die Unterhaltung ausschließlich von Horst Ludwig Hahn bestimmt. Sie drehte sich nur noch um Ethnographie und Kulturgeographie, um Sprachunterschiede, kulturelle Ähnlichkeiten zwischen Europa und dem Nahen Osten und ähnliche wohlanständige Themen.
    Horst Ludwig Hahn hatte mit keinem Wort erwähnt, wie und mit wem er in Damaskus Kontakt aufnehmen wollte. Carl hatte keine Einwände erhoben. Diese Arbeitsweise kannte er von seiner Ausbildung her: strikte Abgrenzung der verschiedenen Arbeitsbereiche. Jeder einzelne sollte für seinen Bereich verantwortlich sein, ohne den Gesamtplan zu kennen.
    Das war ein wohlerprobtes Sicherheitsdenken, das offensichtlich nicht nur bei Nachrichtendiensten herrschte, sondern auch bei einer Terrororganisation wie der RAF. Ihre Tarnung als friedliche europäische Geschäftsleute folgte dem gleichen Muster. Carl fühlte sich vollkommen zu Hause.
    Er hatte aufgehört, sich Sorgen zu machen. Es ist ja eigentlich der Alptraum jedes Infiltranten, daß er plötzlich den Befehl zu einem plötzlichen Aufbruch erhält, ohne daß ihm die Möglichkeit bleibt, Kontakt mit seiner

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