Der demokratische Terrorist
beim Sprechen unbewußt vor:
»Nennen Sie mir die Tat des USA-Imperialismus, die Ihnen nach dem Vietnamkrieg am verabscheuungswürdigsten vorkommt!«
Carl braucht nicht lange nachzudenken.
Die amerikanische Aktion, die ihm abscheulicher vorkam als alle anderen in den letzten Jahren, war der Bombenangriff auf Libyen, den Reagan unter dem Vorwand angeordnet hatte, Ghaddafi stehe hinter allem Terrorismus in der Welt. Das war natürlich nicht wahr. Libyen besaß weder die organisatorischen noch die personellen Voraussetzungen für avancierten Terrorismus, und außerdem waren die Libyer von allen Ländern und Organisationen des Nahen Ostens am besten überwacht und am meisten unterwandert. »Leute, die beim Sicherheits und Nachrichtendienst arbeiten wie wir selbst«, meinte Carl, »haben besonders deutliche Einblicke in diesen Zirkus gewonnen; Franzosen und Engländer des DGSE bzw. des MI 6 drängeln sich in angeblich ›libyschen‹ Organisationen geradezu in hellen Scharen. Französische Agenten des Nachrichtendienstes haben ja sogar eine Reihe von ›libyschen‹ Sprengstoffattentaten gegen die Air France organisiert - bevor sie von einer Frau des britischen MI 6 unterwandert wurden und die ganze Sache aufflog.
Hat Reagan aber gewußt, daß alles unwahr war, was er sagte? Oder hatte ihn der amerikanische Nachrichtendienst belogen? Welche Alternative wäre denn die schlimmere? Eine Spionageorganisation, die ihren Staatschef belügt, so daß es zu Kriegshandlungen kommt, oder ein Staatspräsident, der das Volk belügt?
Wie dem auch sei: Das Ergebnis waren Bombenangriffe auf Libyen. Wenn sie wirklich den internationalen Terrorismus hätten treffen wollen, hätten sie nach Damaskus fliegen müssen, das weiß inzwischen jeder. Dort war ihnen aber wohl die Luftabwehr zu stark, und außerdem ist Damaskus mit Moskau verbündet.
Die Bombenangriffe auf Libyen waren Mord als politisches Theater. Das ist für mich das schlimmste Verbrechen des amerikanischen Imperialismus in den letzten Jahren.«
Carl trat an den Tisch und trank sein Glas fast auf einen Zug leer. Zum erstenmal an diesem Abend hatte er sich aufgeregt. Es stimmte, diesen Angriff verabscheute er mehr als alles andere, was ihm einfiel, sowohl in seiner Eigenschaft als Berufssoldat wie als Anti-Imperialist.
Loge Hecht sah höchst zufrieden aus. Er stellte eine kurze Frage, die nicht übersetzt zu werden brauchte.
»Nun, Herr Anti-Imperialist und Terrorist. Wie möchten Sie den US-Imperialismus für diese Gewalttat bestrafen? Was möchten Sie ganz konkret dagegen unternehmen?«
Carl brauchte nicht lange nachzudenken, um das Gedankenspiel fortzusetzen. Er antwortete fast im selben Moment, in dem Maack den Mund aufmachte, um zu übersetzen.
»Man könnte die Bomber abschießen, mindestens einen oder zwei. Die Basen liegen in England. Einen solchen Angriff erwarten sie nämlich nicht. Man setzt dabei eine Stinger oder eine SAM-7 ein und holt die Maschinen gleich nach dem Start herunter. Nachträglich dürfte es kaum schwerfallen, die Gründe zu erklären. Und wenn es in England nicht geht, wo die Bomber stationiert sind, kann man hier in der Bundesrepublik notfalls ein paar andere amerikanische Maschinen abschießen.«
»Phantastisch«, sagte Loge Hecht, »warum hat die RAF es noch nicht getan, wenn es so einfach ist?«
»Weil sie mit diesen Dingern nicht umgehen können, aber ich kann es, und außerdem haben Sie mich gefragt.«
»Sie haben also ein Rachemotiv, was den amerikanischen Imperialismus betrifft, und auch eine Vorstellung davon, wie und womit und wo. Das ist ja ganz vorzüglich. Genau an diesem Punkt müssen Sie beide in der Woche draußen in St. Augustin weiterdenken.«
Bei diesen Worten stand Loge Hecht auf, um anzudeuten, daß sich die Zusammenkunft dem Ende näherte. Carls fragender Gesichtsausdruck konnte ihm nicht entgangen sein, denn während er seinen Mantel holte und Siegfried Maack die Dokumente an sich nahm, von denen sie während des Gesprächs kaum Gebrauch gemacht hatten, entwickelte er seinen letzten Gedankengang des Abends.
»Sie müssen sich mit der Gedankenwelt der Terroristen vertraut machen, um herauszufinden, wo ihre Berührungspunkte liegen.
Einen Anfang haben Sie schon gemacht, aber wenn Sie wissen, wie die Burschen denken, werden Sie ihnen auch gleich zu Beginn in der richtigen Form widersprechen können. Das wird den Gegensätzen sozusagen die Spitze nehmen. Wir haben dafür eine Woche angesetzt. In St. Augustin wird es
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