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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Bürgern zu gehören schienen, die üblicherweise nach der Polizei riefen. Es gelang Carl, die letzte Kugel ungewöhnlich lange im Spiel zu halten.
    Ihm war plötzlich traurig und melancholisch zumute. In Schweden hatte sich die Linke in die Ministerien abgesetzt, und die Angehörigen der antiimperialistischen Bewegung hatten sich in alberne Friedensapostel verwandelt, die zwischen den Botschaften der Sowjetunion und der USA eine Menschenkette bildeten und Händchen hielten, wobei an beiden Enden jeweils irgendeine meschuggene Schauspielerin zu sehen war. In der Bundesrepublik war eine kleine Gruppe zu Gangstern geworden, umgeben von einer größeren Gruppe, die sich in nichts von den kleinen Ganoven und Fixern unterschied, unter denen er sich jetzt aufhielt. Dazu gab es natürlich noch die Flucht in das entrüstete Gegacker über Umweltschäden oder Kernkraftwerke.
    Alles lag in Scherben. Das einzige, was noch blieb, waren mehr oder weniger verzweifelte individuelle Aktionen. Eine vernünftige Bewegung, die diesen Namen verdiente, gab es nicht mehr.
    Als die letzte Stahlkugel klappernd im Inneren des Geräts verschwand, kam alles etwa so, wie Carl es erwartet hatte. Er warf eine neue Münze ein, und damit war der Kampf angesagt.
    Der Anführer riß sofort die Initiative an sich und griff mit beiden Händen nach den Aufschlägen von Carls grüner Lederjacke. Der Pferdeschwanz hatte sich offenbar vorgenommen, Carl in der nächsten Sekunde zu köpfen. Nur ein klarer Gedanke schoß Carl noch durch den Kopf: Er durfte auf keinen Fall töten. Von da an handelte er automatisch.
    Erst schob er den linken Arm zwischen den Armen des Angreifers nach oben, so daß er mit dem Daumen dessen Kehlkopf traf. Diese Attacke sollte den Gegner nicht verletzen, sondern ihn nur etwas verunsichern, damit Carl für die nächste Bewegung Spielraum bekam: Mit einer schnellen und entschlossenen Bewegung schoß die Innenseite seiner Hand zur Nase seines Gegners hoch. Es war ein harter und zielgenauer, fast perfekter Treffer, und der Nasenbeinbruch löste natürlich sofort eine kräftige Blutung aus (Carl schaffte es noch, rechtzeitig zurückzuweichen, um nicht vollgespritzt zu werden).
    Als sich der andere im Schock krümmte, stieß ihm Carl erst ein Knie ins Gesicht und ließ einen seitlichen Handkantenschlag gegen den Hals folgen. Er hatte sich voll in der Gewalt. Nach dem letzten Schlag hatte der Anführer wahrscheinlich das Bewußtsein verloren, noch bevor er auf dem braunschwarzen und völlig verdreckten Fußboden aufschlug.
    Seine Anhänger standen ratlos herum, ohne sich zu irgend etwas aufraffen zu können. Sie starrten bald Carl, bald ihren leblosen Freund auf dem Fußboden an.
    Carl fegte mit dem Unterarm das restliche Wechselgeld auf dem Flipper zu sich heran, steckte es ein, zeigte mit einem Kopfnicken auf den am Boden liegenden Anführer und sagte in dem Raum, in dem es trotz der donnernden Rockmusik vollkommen still geworden war: »Er ist nicht tot. Diesmal nicht. Nur bewußtlos.« Dann bahnte er sich einen Weg zum Ausgang. Niemand regte sich, niemand machte Anstalten, ihn aufzuhalten. Mehrere der Anwesenden hatten wohl schon begriffen, wen sie da in Aktion gesehen hatten und daß sich hier, mitten unter den Genossen, der Rambo-Räuber aufhielt.
    Carl ging mit gemischten und sehr ungewohnten Gefühlen in den Regen hinaus. Er hatte es genossen, so zuzuschlagen. Es war ein angenehmes Gefühl in den Händen, im Kopf und im ganzen Körper gewesen. Als er die Aktion noch einmal Revue passieren ließ, erlebte er den Genuß noch intensiver. Er hatte noch nie etwas Ähnliches gespürt und fragte sich einen kurzen, flüchtigen Moment lang, ob er dabei war, verrückt zu werden.
    Dann schüttelte er den unangenehmen Genuß ab und versuchte, wieder klar zu denken. Hier stand er nun, allein im Regen, vor einer dreckigen Kneipe in einem der widerlichsten Viertel Europas und hatte es immer noch nicht geschafft, den Kontakt herzustellen. Aber er hatte schon viel dafür getan. Er nahm sich nur noch vor, noch einmal etwas Geld für gute Zwecke zu stiften, was nicht schaden konnte, aber dann mußte er abwarten. Jetzt mußte die andere Seite die Initiative ergreifen, wenn sie wollte. Wenn nicht, war das Unternehmen, soweit es ihn betraf, zu Ende.
    Er machte sich auf den kurzen Weg zur Volxküche. Er erkannte niemanden wieder, aber es reagierte auch niemand sonderlich feindselig, als er um ein Bier bat. Er ließ sich in eins der absichtlich zerfetzten

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