Der demokratische Terrorist
Sofas fallen, trank von dem Bier und buchstabierte sich durch die Parolen an den Wänden.
Das Mädchen mit dem Pferdeschwanz erschien nach einer Stunde. Sie setzte sich ohne jede Vorrede zu ihm.
»Du hast anscheinend Störtebeker persönlich verprügelt«, stellte sie fest.
»Wer ist Störtebeker?« fragte Carl.
»Ein Pirat und Volksheld aus der Hansezeit, der seine Beliebtheit durch die Jahrhunderte bewahrt hat. Störtebeker ist ein Künstlername deines Gegners.«
»Er war kein Gegner, nur ein Vollidiot, der mich genauso behandeln wollte wie alle anderen hier. Ein schöner Vertreter deines fortschrittlichen Lumpenproletariats, was?«
»Du sagtest, du wolltest es vermeiden, dich mit der Polizei zu prügeln. Weißt du noch? Das war neulich, als wir uns hier kennenlernten.«
»Ja, natürlich.«
»Es ist schon ein bißchen komisch, ich meine, mit Störtebeker, denn er liebt es, sich mit der Polizei zu schlagen.«
»Das sollte er lieber lassen, dazu ist er nicht gut genug.«
»Aber du bist es?«
»Ja, ohne jeden Zweifel.«
»Und wie kommt das?«
Carl zögerte. Was er jetzt antworten sollte, ergab sich durchaus nicht von selbst. Die richtige Antwort wäre das Eingeständnis gewesen, daß er der Rambo-Räuber sei, aber es stellte sich die Frage, wie er, ohne diese Antwort zu geben, zugleich bestätigen konnte, was sie wohl schon vermutete.
»Ihr Deutschen seid in mancherlei Hinsicht ein bißchen einseitig.
Es ist alles gar nicht so kompliziert, wie ihr glaubt. Wir haben in Schweden die allgemeine Wehrpflicht, und unser hypothetischer Feind sind die Russen, und die Russen sind vermutlich viel gefährlicher als kleine Gauner wie Störtebeker.«
»Gehören Banküberfälle zu eurer militärischen Grundausbildung, oder bleiben die Spezialisten vorbehalten?« fragte sie in einem Tonfall, als wäre das eine völlig normale und alltägliche Frage.
Carl seufzte. Das Ganze kam ihm zu durchsichtig vor, es war alles zu schnell gegangen. Es würde ziemlich lächerlich wirken, jetzt den Verständnislosen zu spielen. Er saß in der Falle. Er drehte sich zu ihr um und blickte ihr offen in die Augen. Sie war süß. Sie erwiderte seinen Blick fest und offen.
»Mein Problem ist zunächst einmal, ob es in diesem Viertel Polizeispitzel gibt«, begann er langsam. Sie schüttelte den Kopf und wartete offensichtlich gespannt auf die Fortsetzung.
»Als ich diese Gegend auswählte, ging ich davon aus, daß die Polizei sich hier raushält. Du weißt, diese sozialdemokratische Verschwörung. Die paßte mir ausgezeichnet. Aber bei diesen heruntergekommenen Typen muß man mit allem rechnen. Wenn die sich in den Kopf setzen, mit einer Denunziation ein paar Mark zu verdienen, dann…«
»Nein, sie sind keine Denunzianten, das ist nicht so, wie du glaubst«, unterbrach sie ihn kurz und bestimmt. Er zog es vor, mit skeptischer Miene nur sacht zu nicken. Er wußte nicht mehr, was er sagen oder wie er sich verhalten sollte.
Weiter hinten im Raum kam es zu einem Streit mit möglicherweise politischem Hintergrund. Carls Deutschkenntnisse waren zu lückenhaft, um dem Streit folgen zu können, aber wegen der offensichtlichen Betrunkenheit der Streithähne hatte er den Eindruck, nicht allzu viel zu verpassen. In der Lautstärke der Auseinandersetzung ging sein Gespräch überdies zunehmend unter. Carl stand auf und holte zwei neue Biere. Unter seinen Schuhsohlen knirschten kleine Zementbröckchen.
Dieses Mädchen und ihr abwesender Freund unterschieden sich auffällig von all den anderen, mehr oder weniger widerwärtigen Figuren, denen er bisher in diesem Viertel begegnet war. Trotzdem war es unwahrscheinlich, daß die Terroristen es wagen würden, sich in diesem Milieu zu verstecken.
Das Mädchen war aus anderem Holz geschnitzt, konnte aber trotzdem kaum Terroristin sein.
»Und du selbst?« fragte er, als er ihr die Bierflasche hinhielt, »lebst du in der Legalität oder in der Illegalität?«
Er bereute die Frage sofort. Diese Ausdrücke hörten sich verdächtig nach St. Augustin und den Texten an, die er dort gelesen hatte. Für einen Ausländer mit mangelhaften Deutschkenntnissen war es nicht sehr passend, plötzlich über Begriffe aus dem Polizeijargon zu verfügen. Sie schien auf die Frage aber kaum zu reagieren.
»Ich führe ein legales Leben und habe nie etwas anderes geplant«, erwiderte sie, als wäre die Frage ebenso berechtigt wie selbstverständlich.
»Wenn das so ist, frage ich mich wirklich, was du hier in der
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