Der Derwisch und der Tod
sind
Gefährten in Seligkeit. Sie sitzen unter dornenlosem Lotos und unter Bananen
mit Blütentrauben, im Schatten, der sich am schnellfließenden Wasser
ausbreitet, bei Früchten in unversieglicher und unverwehrter Menge, ruhen auf
erhöhten Polstern.’"
„Schön. Auch für sie."
Es war ein staunendes Flüstern voll
Neid.
„‚Wehe aber den Elenden, von
Unseligkeit Getroffenen! Ihr Platz ist in Glutwind und siedendem Wasser, in
Schatten von schwarzem Rauch, nicht kühl und nicht angenehm. Und sagen wird man
ihnen: Essen sollt ihr die bitteren Früchte vom Baume Zaqqum und trinken von
siedendem Wasser. Ihr sollt trinken wie dursttolle Kamele. Wir haben bestimmt,
daß unter euch der Tod herrsche, doch unsere Macht ist groß, und also wird es
geschehen.’"
„Warum denn? Sind sie
schuldig?"
„Das weiß Gott, Džemal."
„Geht es weiter?"
„‚Sprechen werden die Unseligen zu
den Auserwählten: Wartet auf uns, auf daß wir unser Licht an eurem Licht
anzünden! – Und ihnen wird zur Antwort werden: Kehret zurück und suchet euch
Licht! – Und es wird eine Mauer zwischen ihnen errichtet werden, drinnen wird
Barmherzigkeit sein und draußen Leiden. Die von draußen werden rufen: Waren wir
nicht mit euch?’"
„Oh, barmherziger Gott. Auch dort.
Ohne Licht."
Darauf schwieg er lange, sein
aufgestörtes Gehirn quälte sich. Er atmete schwer.
„Und ich? Wohin komme ich?"
„Ich weiß es nicht."
„Werd ich zur Rechten stehen?"
„Kann sein."
„‚Euch erwarten himmlische Gärten,
durcheilt von Bächen.’ Das hat er gesagt. Der vor dir. Auch von der
Sonne. Wohin komm ich? Das ist für gute Taten. Hab ich die? Gute Taten?
Fünfzehn Jahre so. Hier. Und draußen die Sonne. Bäche. Früchte.
Für gute Taten."
„Was ist aus dem Mann
geworden?"
„Gestorben. Ein Guter. Ein Stiller.
Hat mir's gesagt. So. Auch du kommst, sagte er. Dorthin. Wie alle
guten Menschen. Das ist gut. Hab ich gesagt. Wegen der Sonne. Und wegen
dem Wasser. Dem klaren. Und wegen dem Gliederreißen.
Meinem."
„Wie ist er gestorben?"
„Schwer. Die Seele wollte nicht.
Nicht heraus. Hat gekämpft. Ich war dabei. So. Hab geholfen."
„Wobei hast du geholfen?"
„Ist erdrosselt worden."
„Und du hast geholfen, ihn zu
erdrosseln?"
„Hat gekämpft."
„Tat er dir nicht leid?"
„Ja. Wegen der Sonne. Wegen dem, was er gesagt hat."
„Wie hieß er? Vielleicht
Harun?"
„reiß nicht."
„Was hatte er verbrochen?"
„Weiß nicht."
„Geh, Džemal."
„Vielleicht komm auch ich hin?
Innerhalb. Von der Mauer."
„Bestimmt, Džemal."
Er fragte mich, ob ich in eine
andere Zelle wolle, ich könne in eine kommen, die nicht so finster und
nicht so naß sei wie meine.
„Es ist mir gleich, Džemal."
„Willst du's sagen? Noch einmal?
‚Wenn das große Ereignis.’ Nur das.
Das erste. Hier ist es finster. Und
häßlich. Fünfzehn Jahre. Es ist nicht recht. Und auch dort."
„Geh, Džemal."
Lange holperten um mich herum seine
zerrupften, verdrehten, verstümmelten Sätze, es schien, als
hielten sie kaum zusammen, aber die verlorenen, kopflosen Teilchen blieben
wie durch ein Wunder beieinander und drückten sogar menschliche
Sehnsucht aus.
Und wieder verlor ich mich.
Als sich nachher, am gleichen Tag
oder viel später oder niemals, auf einmal die Tür meiner Zelle öffnete,
da überfluteten mich zwei ganz entgegengesetzte Empfindungen: die
Furcht, daß man mich erdrosseln, und die Hoffnung, daß man mich
freilassen würde. Sie warfen sich gleichzeitig auf mich, wie zwei ungeduldige,
aufgeregte Geschöpfe, sie suchten einander zu behindern und zu verdrängen. Oder
der Abstand zwischen ihnen war so gering, daß ich sie zeitlich
kaum voneinander unterscheiden konnte. Wahrscheinlich verwarf ich
den ersten Gedanken sofort, denn Džemal kam allein, und sogleich meldete sich
Freude: die Befreiung! Geschehen konnte das eine wie das andere, Gründe dafür
brauchte es nicht zu geben. Wenn man tötete, wo es keine Schuld gab, ließ man
vielleicht auch frei, wo noch nichts gerechtfertigt war.
Es handelte sich aber weder um das
eine noch um das andere. Ich sollte nur in eine andere Zelle umziehen.
Ich war bereit, ohne Freude.
Ich trat in das andere Grab, jetzt
auch meines, und blieb an der Tür stehen, um mich an die Umgebung zu gewöhnen.
„Pss!"
Ich begriff nicht gleich, warum mich
da jemand aus dem Halbdunkel warnte, doch im gleichen Augenblick flatterte von
der schmalen Fensteröffnung eine Taube auf. Ich sah sie eben
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