Der Derwisch und der Tod
Schutzstellung herausträte.
(Ich weiß, ich erzähle zu schnell
und verworren, ich weiß, wieviel ich überspringe, aber ich kann nicht anders.
Alles zieht sich um mich zusammen wie ein
Ring, der enger wird, und ich habe weder Zeit noch Geduld, langsam und mich vorwärtstastend zu
schreiben. Solange ich ruhig war, eilte ich nicht, jetzt renne ich und
verdichte, als wäre eine Flamme über meinem Kopf. Ich weiß nicht einmal,
warum ich schreibe, ich gleiche einem einsamen Sterbenden, der mit dem
Fingernagel, unter dem Blut hervordringt, Zeichen in die Wand ritzt, die von
ihm Kunde geben.)
Und Hasan entfernt sich immer
weiter. Anfangs dachte ich, Mula Jusuf habe ihm die Sache von Hadschi Sinanudin
erzählt, aber ich überzeugte mich, daß es einen ganz anderen
Grund gab. Es ging auch nicht um die Dubrovnikerin – sie war vor unserem
strengen Winter geflohen, und er wußte, der Frühling würde sie zurückbringen.
Zum Unglück, zu seinem und meinem,
hatte er sich aufgemacht, Verwandte in der Umgebung von Tuzla zu besuchen,
die, wie viele andere, im Aufstand
sehr gelitten hatten. Der Oberst Osman Beg hatte sein Werk gut verrichtet: niedergemetzelt,
niedergebrannt, von Haus und Hof verjagt, in die Verbannung geschickt. Und die
Menschen warteten in großer Not auf den Winter. Hasan holte die
Verwandten – Frauen und Kinder – her und brachte sie in seinem Haus
unter. Von da an wurde er ein ganz anderer Mensch: schwierig, anstrengend,
ermüdend im Umgang. Er erzählte von entwurzeltem,
abgerissenem Leben, von Brandstätten, unbegrabenen Toten und besonders von den
Kindern, die an den niedergebrannten Häusern hockten, hungrig, verstört, in
den Augen das nackte Entsetzen über all das, was sie gesehen hatten.
Vorbei war es mit seiner sorglosen
Oberflächlichkeit, der spöttischen Leichtigkeit, der Lust am heiteren
Geplauder, der Lust daran, Brücken aus luftigen Worten zu bauen. Aufgeregt
sprach er nur vom Unglück der Posaviner, und er tat es ohne frühere
Leichtigkeit, gequält, sich mühend, verdüstert.
Die Opfer, die niedergemetzelt unter
der schwarzen Erde der Posavina lagen oder sich auf fernen Wegen in die
Verbannung schleppten, nannte er Selbstmörder und bosnische Narren. Unsere
Begeisterungen, sprach er, sind
genauso gefährlich wie unsere Vernunft. Was dachten sie sich eigentlich, wenn sie überhaupt etwas
dachten? Daß sie mit dem Heer des Sultans fertig würden, das weder Tapferkeit
noch Begeisterung braucht, weil es bewaffnet
und rücksichtslos ist? Oder hatten sie gehofft, man würde sie in Ruhe lassen, als ob jemand zulassen
könnte, daß der Funken Feuer entfacht, wie baufällig auch das Haus sein mag?
Rennt sich nicht schon allzuviel Kraft nur die Hörner ein, haben
wir nicht genügend hohles Heldentum, das nichts als Wüste
zurückläßt? Dürfen denn unvernünftige Väter so über das Schicksal ihrer Kinder
entscheiden, daß sie ihnen als Vermächtnis Leiden, Hunger,
unaufhörliche Armut, Furcht vor dem eigenen Schatten, Feigheit über
Generationen hin und den kläglichen Ruhm des Opfers hinterlassen?
Oder er sprach ganz anders: Nichts
erniedrigt so wie feiges Hinnehmen und kleinliche Vernünftigkeit. So sehr sind
wir fremdem Willen, der mit dem unseren
nichts zu tun hat, untergeordnet, daß uns dies zum Verhängnis wird. Die besten Menschen
trachten in ihren besten Augenblicken danach, sich von dieser Ohnmacht und
Abhängigkeit freizumachen und aufzuraffen. Das Nichtanerkennen der
Schwäche ist schon ein Sieg, ein Gewinn, der später, in der Zukunft,
dauerhafter und umfassender sein wird, und dann ist es kein Versuch mehr,
sondern ein Beginn, kein Trotz mehr, sondern Selbstachtung.
Ich hörte es mir an und wartete, daß
es vorübergehe, denn ich wußte, seine Begeisterungen ebenso wie seine
Verbitterungen hielten nicht lange an. Eine
einzige Narrheit blieb ihm auf die Dauer: die Liebe zur Dubrovnikerin. Die aber ist in der Tat ganz
unerklärlich, wohl eher das Bedürfnis nach Liebe als die Liebe selbst. Er ist
kein Mann der Verwirklichung, kein Mann der Erkenntnis, läßt sich nicht
in einem bestimmten Fach unterbringen; alles versucht er und nichts vollendet
er, er nimmt die Gefahr auf sich, immer zu scheitern. Scheitern wird er auch im
Edelmut.
Einmal wies er mich auf den Krüppel
Džemail, den seine Kinder in einem Wägelchen fuhren und der auf zwei Krücken,
die verkrüppelten und verdorrten Beine nachziehend, in seine Schneiderwerkstatt
humpelte. Wenn er saß, überraschte er jeden mit
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