Der Derwisch und der Tod
Unruhe
über seine Selbstsicherheit, und ich bereute es,
ihm einen Unterschlupf geboten zu haben. Er braucht nur sich selbst, er schiebt dich beiseite,
als versetzte er mir einen Schlag, als stieße er die gereichte Hand zurück,
selbstsicher bis zum Überdruß. Später schämte ich
mich meiner Bockigkeit (was blieb ihm anderes übrig, als sich selbst zu vertrauen!), ich hatte
mich über dem niedrigen Gefühl ertappt, Dankbarkeit von den Menschen zu
verlangen, zu verlangen, daß sie uns klein und untertänig
gegenüberträten, denn das begründet unser Wohlwollen, nährt es und läßt unsere
Taten und unsere Güte bedeutender erscheinen. Sonst aber wirkt es gering und
unnötig. In jenem Augenblick jedoch schämte ich mich nicht, ich
war erbost, es schien mir, als hätte ich mich in eine sinnlose Sache
eingelassen, dennoch ging ich quer durch den Garten auf ein halb verfallenes,
von Holunder und anderem Gebüsch verdecktes Häuschen zu. Ich ging
ohne Freude, uneins mit mir selbst, ohne eigentliches inneres Bedürfnis, aber
ich konnte nicht anders.
Die Tür
stand offen, Fledermäuse und Tauben hausten hier.
Er blieb
stehen.
„Warum tust
du das?"
„Ich weiß
nicht."
„Du bereust
es schon."
„Du bist zu
stolz."
„Das hättest du nicht zu sagen
brauchen. Der Mensch ist überhaupt nie zu stolz."
„Ich werde
dich nicht fragen, wer du bist und was du getan hast, das ist deine Sache.
Bleib hier, das ist alles, was ich dir bieten kann. Und es soll so sein, als
hätten wir einander nicht getroffen, nicht gesehen."
„So ist es
am besten. Geh jetzt in dein Zimmer."
„Soll ich
dir zu Essen bringen?"
„Nicht
nötig. Es tut dir schon leid, daß du dies da getan hast."
„Warum
meinst du, daß es mir leid tut?"
„Du zauderst zu sehr, bedenkst es zu
sehr. Was du jetzt auch unternehmen würdest, es täte dir leid. Geh in die
Tekieh, denk nicht weiter an mich. Du wirst mich melden, wenn es dir
einfällt."
War das Spott, Hohn, Verachtung?
Woher nahm er die Kraft, sich so zu verhalten?
„Du traust
den Menschen nicht sehr?"
„Bald wird es hell. Es wäre nicht
gut, wenn sie uns hier zusammen fänden."
Er wollte mich loswerden, ungeduldig
blickte er zum Himmel, der sich veränderte, der die Morgenröte ahnen ließ. Ich
aber hätte ihm gerne noch unzählige Fragen gestellt, denn ich würde ihn nie
wiedersehen. Keiner sonst könnte mir antworten, nur er.
„Nur dies
noch: Du bist allein – fürchtest du dich nicht? Sie werden dich fassen,
niederschlagen, nichts, gar nichts Gutes hast du zu gewärtigen."
„Laß mich
in Ruhe!"
Seine Stimme war grob, halb erstickt
von Zorn, es hatte in der Tat keinen Sinn, ihm gegenüber von dem zu sprechen,
was er selber wußte, vielleicht dachte er, ich sei wirklich ein schlechter
Mensch und hätte einen hämischen Genuß an seiner Not.
Er gab es mir mit gleichem Maße
zurück: „Etwas quält dich", sagte er mit seinem Scharfsinn, den man nicht
erwartet hätte, der mich verblüffte, er fing mich in meinem eigenen Dickicht.
„Ich komme einmal, wenn es nicht gefährlich ist, und unterhalte mich mit dir.
Geh jetzt."
Er hatte nicht auf das geantwortet,
was mich beschäftigte, hatte mich auf mich selbst zurückgewiesen. Was für eine
Antwort hätte er mir auch geben können? Was für Gemeinsamkeiten konnten
zwischen uns beiden bestehen? Was hätte er mich lehren können?
Ich öffnete das Fenster, im Zimmer
war es zum Ersticken. Wäre er nicht gewesen, so wäre ich in den Garten
hinuntergegangen, um ohne Schlaf den Morgen zu erwarten, so wie ich ihn nun
auch hier erwarten würde, er war nicht mehr fern, die allerfrühesten Vögel
kündigten ihn schon an mit immer dichter werdendem Gesang, der Himmel über dem dunklen
Bergrücken tat die Lider auf und zeigte eine hellblaue Pupille. Die Bäume
standen jetzt verschlafen im Garten, verhüllt mit dem Dunst der dünnen
Dämmerung. Bald würden, beim ersten Morgenlicht, auch die Fische aus dem Wasser
zu springen beginnen. Ich liebte diese morgendliche Stunde des Erwachens, es
ist, als beginne nun erst das Leben.
Ich wartete, mitten im Zimmer
stehend, erfüllt von einer Unruhe, deren Grund ich nicht bestimmen konnte, ich
war verbittert über das, was ich nicht getan hatte, alles hatte ich verfehlt in
dieser Nacht, die voll war von Drohung und sinnlosem Bangen.
Ich lauschte auf jedes Rascheln, auf
das Geräusch eines Vogelflügels, hörte das gleichmäßige Plätschern des Flusses
und wartete darauf, auch ihn zu hören oder sie – die
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