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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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schnaufte dabei
mächtig. Er verneigte sich rasch gegen Osten, dann ging er zum Herd, machte
Feuer, nahm Geschirr auf und setzte es ab, das alles mit solchem Lärm, daß auch
einer erwacht wäre, der nicht an frühes Aufstehen gewöhnt ist. Mustafa ist
taub, in seiner leeren Welt ohne Laute und Widerhall bedeutete Lärm nichts als
einen Wunsch, und wenn es uns zuweilen gelang, ihm begreiflich zu machen, daß
er allzusehr poltere, stoße, schlage, dröhne, so zeigte er sich verwundert
darüber, daß manchen sogar so etwas stören könne.
    Fast zur
gleichen Zeit ließ sich auch Hafiz Muhameds Hüsteln vernehmen, manchmal hörte es die ganze
Nacht nicht auf. Im Frühling und im Herbst war es meist ein tiefes, erstickendes
Husten, wir wußten, er spuckte Blut, aber er beseitigte selbst die
roten Spuren und trat lächelnd aus seiner Kammer, mit roten Siegeln auf den
Wangen, und er sprach von gewöhnlichen Dingen, nicht von sich selbst und nicht
von der Krankheit. Zuweilen meinte ich, das sei eine besondere
Art Hochmut, der Drang, über uns und der Welt zu stehen. Die Waschung
vollzog er mit besonderer Aufmerksamkeit, lange rieb er die blasse,
durchsichtige Haut. An diesem Morgen hustete er weniger, leichter, es kam
vor, daß ihn der sanfte Frühlingswind ruhiger machte, derselbe Wind, der ihn
ein anderes Mal beinahe zugrunde richtete, ich wußte, an diesem Tage würde er
befriedigt, besänftigt, entrückt sein, so rächte er sich an der Welt – er
zeigte keine Verbitterung.
    Als nächster ging Mula Jusuf
hinunter. Das Klappern seiner Holzsandalen blieb beherrscht und gemessen,
allzu gesetzt für seine strotzende Gesundheit,
er widmete seiner Erscheinung mehr Aufmerksamkeit als jeder andere von uns, denn er hatte
mehr zu verbergen. Ich glaubte nicht an sein Sich-Bescheiden, es sah nach Lüge
aus, nach Verstellung, bei der frischen Röte seines Gesichts und
seinen jungen fünfundzwanzig Jahren. Aber das war keine Gewißheit, sondern ein
Verdacht, ein Eindruck, der sich je nach Stimmung änderte.
    Wir wußten nicht viel voneinander,
obgleich wir zusammenlebten, denn wenn wir uns unterhielten, sprach er nicht
von sich selbst und ich nicht von
mir selbst oder bestenfalls nur andeutend, vielmehr sprachen wir von den Dingen, die wir gemeinsam
hatten. Und das war gut so. Persönliche Angelegenheiten sind zu heikel, zu
verworren, sind nutzlos, und man soll sie sich selbst
überlassen, wenn wir sie nicht ersticken können. Der Inhalt unserer Gespräche
beschränkte sich hauptsächlich auf allgemeine uns bereits wohlbekannte Sätze,
deren sich auch andere vor uns bedient hatten, weil das sichere,
geprüfte Sätze waren, weil sie vor Überraschungen und Mißverständnissen
schützten. Persönliche Farbe, das wäre Poesie, das wäre Möglichkeit der Verdrehung,
wäre Willkür. Diesen Kreis allgemeiner Gedanken verlassen,
hätte aber bedeutet, daß man an ihnen zweifelt. Darum kannten wir einander nur
in dem, was unwichtig oder was bei uns beiden gleich war. Mit anderen Worten,
wir kannten einander nicht, und es war auch nicht nötig. Einander kennen, hätte
bedeutet, Unnötiges zu wissen.
    Diese allgemeinen Überlegungen
jedoch waren keineswegs Ausdruck der Ruhe, denn mit ihnen versuchte ich, mich
in etwas Sicheres einzukrallen, damit mich der Sturmwind nicht
fortreiße aus dem gemeinsamen Kreise; ich ging auf dem äußersten Rande und
wollte ins Unpersönliche zurückkehren. Auf alle war ich an diesem Morgen
neidisch, denn ihr Morgen war ein Morgen aller Tage.
    Es gab einen sicheren und einfachen
Weg, meine Qual zu verringern, sie sogar zu beseitigen: ich mußte sie
in gemeinsame Sorge verwandeln. Der Flüchtling ging jetzt die ganze Tekieh an,
und den Entschluß brauchte nicht ich allein zu fassen. Hatte
ich denn das Recht, etwas zu verbergen, was auch ihre Sache geworden war?
Ich konnte meine Meinung äußern, konnte mich für den Flüchtling einsetzen, aber
ich durfte ihn nicht verheimlichen.
Das wäre gerade die Entscheidung gewesen, der ich auswich. Es mußte getrachtet
werden, daß er unsere Angelegenheit wurde, nicht nur meine, so wäre es auch
leichter und anständiger. Alles andere wäre Unredlichkeit und Lüge, ich hätte
das Bewußtsein, etwas Unerlaubtes zu tun, und dafür gab es überhaupt keine
Gründe. Nicht einmal die Gewißheit, daß ich gerade so handeln müsse.
    Mit wem aber sollte ich sprechen?
Wären wir alle zusammen beteiligt, so wäre der Flüchtling von vornherein
geopfert. Einer würde den anderen

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