Der Derwisch und der Tod
zufrieden. Ich will nicht
an dich denken, ich wollte dich töten."
„Du kannst mich nicht töten.
Keiner kann mich töten."
„Du überschätzt deine Kräfte."
„Nicht ich überschätze sie, sondern
du."
„Ich weiß. Du sprichst ja auch
nicht. Dich gibt es vielleicht gar nicht mehr. Ich denke und spreche statt
deiner."
„Dann gibt es mich. Um so schlimmer
für dich."
Ich versuchte mir selbst
zuzulächeln, kraftlos, beinahe besiegt. Vor einem Augenblick noch hatte ich
wegen des Siegs über ihn und über das, was er bedeuten konnte, triumphiert,
jetzt aber war er in meiner Erinnerung auferstanden, noch gefährlicher.
5
Sind ihre Herzen verriegelt und verschlossen?
Auf dem langen Wandelgang, der die alte Herberge
wie ein viereckiger Reifen umgibt, versperrten die Menschen den Durchlaß. Vor
der Tür eines Zimmers warteten sie aufgeregt, dicht gedrängt, einen unregelmäßigen
Kreis bildend, in dessen leerer Mitte ein Stadtwächter stand. Immer mehr kamen
hinzu, der Wandelgang füllte sich wie ein verstopfter Kanal, raschelndes
Geflüster erhob sich, erbost und verwundert, die Menge hat ihre eigene Sprache,
sie unterscheidet sich von der Sprache, deren sich jeder einzelne dieser
Menschen bedient, sie hat etwas von Bienengesumm, auch etwas von Knurren, die
Worte gehen unter, es bleibt ein Sammellaut, die einzelnen Stimmungen gehen
unter, und es bleibt eine gemeinsame, gefährliche Stimmung.
Ein Durchreisender, ein Händler, war
getötet worden, gestern abend, gleich würden sie den Mörder bringen, sie hatten
ihn am Morgen gefaßt, er saß und trank ruhig, als hätte er nicht einen Menschen
umgebracht.
Ich wagte mich nicht zu erkundigen,
wer der Mörder sei, obgleich mir sein Name nichts gesagt hätte. Ich fürchtete,
ich würde ihn erkennen, welchen Namen sie mir auch nennen würden, denn ich
dachte nur an den einen. Beinahe ohne zu überlegen, schrieb ich diesen Mord
meinem Flüchtling zu. Er hatte es gestern abend getan, sie hatten ihn gejagt,
er hatte sich in der Tekieh versteckt, und heute morgen war er, sich sicher
wähnend, trinken gegangen. Verwundert sagte ich mir, wie eng doch der Kreis
sei, der sich um die Menschenleben schließt, und wie sich die Wege, die wir
gehen, kreuzen. Gestern abend hatte ihn der Zufall zu mir geführt, jetzt führte
mich der Zufall zu ihm, damit ich ihn enden sehe. Vielleicht wäre es das beste
gewesen, mit diesem Gedanken, diesem Beweis für die rasch wirkende göttliche
Gerechtigkeit wegzugehen, ihn mitzunehmen als ein Zeichen und einen Anlaß, mich
zu beruhigen. Aber das konnte ich nicht, ich wartete, um sein Gesicht zu sehen,
das mich gestern abend so verwirrt hatte, seine zerstörte Sicherheit zu sehen
oder die Dreistigkeit des Verbrechers, damit ich ihn endgültig abtun könne.
Während ich um mich herum die Leute darüber flüstern hörte, wie das Verbrechen
ausgeführt worden sei: mit Messerstichen in Hals und Herz, überlegte ich mir,
wie ich doch in eine häßliche Sache einbezogen worden war, wie ich eine schwere Nacht verbracht hatte,
gequält vom Gewissen, nicht im mindesten ahnend, daß er ein Verbrecher war. Ich
fühlte mich jetzt beschmutzt von der Begegnung, erniedrigt von seinen Worten,
es verdroß mich, daß er geflohen war und daß er noch den wahnwitzigen Einfall
hatte haben können, sich ins Kaffeehaus zu setzen.
Doch umsonst machte ich in Gedanken
alles schwerer, umsonst beschuldigte ich mich und redete mir ein, Widerwillen
zu fühlen. In Wahrheit war mir leichter, eine qualvolle Last war mir von den
Schultern genommen, verschwunden war der Alp, der mich fortwährend bedrückt
hatte. Der Mann war ein Mörder, ein gemeiner, roher Mörder, der anderer
Menschen Tod auf der Klinge seines raschen Messers trägt, der tötet um nichts,
um eines Wortes oder um Gottes willen, mit ganzem Herzen wünschte ich mir, es
möge so sein, so würde ich mich von ihm befreien. Darum erfüllte und bewegte
mich dieses Gefühl der Erleichterung – gleich würde ich ihn aus mir
herausdrängen und die wahnwitzige vergangene Nacht vergessen, die wie Feuer
alles versengt hatte, was an Unantastbarem in mir bewahrt und gehütet war. Der
Mörder aber war nur ein Unglücklicher, und es blieb gleichgültig, ob ich ihn
bespucken oder bedauern würde, er konnte in mir nur Trauer hervorrufen oder
Abscheu der Menschen wegen.
An den leisen, aufgeregten Stimmen,
die säuselten wie ein leichter Wind (alles kann aus ihm hervorgehen,
Gewittersturm wie Stille), an den Stimmen voller
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