Der Derwisch und der Tod
Haß, Aufregung, zitternder
Neugier, Blutgeruch, heimlicher Bewunderung, Bereitschaft zu Gewalttat und
Vergeltung, merkte ich, daß sie den Mörder herbeiführten. Angekündigt wurde er
auch durch lebhaftere Bewegungen, dadurch, daß die Menschen unruhig und kurz
auf der Stelle traten, sich neugierig denen zuwandten, die noch hinzukamen, daß
ein Krampf sie umschnürte, ihnen die Stimme und wohl auch den Atem nahm. In
vollkommener Stille hörte man Schritte auf dem gepflasterten Wandelgang, und
ohne den Kopf zu heben, versuchte ich herauszubekommen, ob der Schritt eines
derer, die da kamen, ungleichmäßig sei, dann sah ich ihn zwischen zwei
Stadtwächtern, sah zuerst die Füße, beide beschuht, ich hob allmählich den
Blick, der von gestern war nur mit dem weißen Hemd und dem spitzen Gesicht in
meinem Gedächtnis geblieben, diesem hier hatte man die Hände über Kreuz
gefesselt, sie waren blau angelaufen, die Adern geschwollen, auch von ihnen
wußte ich nichts, ich verhielt den Blick auf dem mageren Hals ich hätte eher
weggehen sollen – und ohne Hast, beinahe wider Willen, richtete ich die Augen
auf das Gesicht. Es war nicht der von gestern abend.
Im Grunde hatte ich es schon gewußt,
ehe ich ihn sah.
Dieser hier stand in der Mitte eines
Kreises, blaß, ruhig, es schien mir sogar, als lächelte er mit dem einen Winkel
seines schmalen Mundes, es kümmerte ihn wohl nicht, was mit ihm geschah, oder
es befriedigte ihn, daß die Leute ihn anstarrten. Die Stadtwächter schoben die
Menge aus einander und führten ihn in das Zimmer, in dem der getötete Händler
lag.
Ich ging auf dem Wandelgang weiter, dies da
betraf mich nicht. Es wunderte mich nicht, daß es nicht der von gestern abend
war, es wäre in der Tat unwahrscheinlich gewesen, aber ich hatte gewünscht, daß
es so sei, hatte auf ein Wunder gewartet. Vielleicht hatte ich ihm unrecht
getan, vielleicht auch nicht – damit, daß ich äußere Umstände miteinander verband
und alles vergaß, was ich heute morgen und in der vergangenen Nacht von ihm
gedacht hatte. Doch nicht um ihn ging es, sondern um mich. Ich wollte mich von
ihm befreien, so wie heute morgen. Dies war der zweite Versuch, ihn zu
vernichten, mich selbst zu strafen und die Spur, die er hinterlassen hatte, zu
verwischen. Zuviel hatte ich mich mit ihm befaßt, er hatte meinen Geist so sehr
verleitet, daß ich im Innern schwankte, sogar wünschte, er möge den Verfolgern
entkommen und die Freiheit behalten, gleich dem ungezähmten Fluß. Er war eine
einzige Möglichkeit, eine seltene und ungewöhnliche, die es zu bewahren galt.
So hatte ich gedacht, und sogleich hatte ich es bereut. Eingefallen war er in
mein Leben in einem Augenblick der Schwäche, war Ursache und Zeuge eines
Verrats gewesen, eines kurzwährenden, aber wirklichen. Darum hatte ich
gewünscht, er möge ein Mörder sein, alles wäre dann leichter gewesen. Ein Mord
ist weniger gefährlich als Aufruhr. Mord kann nicht Muster und Ansporn sein, er
ruft Verurteilung und Abscheu hervor, eine unerwartete Tat, plötzlich, wenn
Furcht und Gewissen überschritten werden, er ist allen unangenehm, gleichsam
eine häßliche Erinnerung an das Fortbestehen der niederen Instinkte, deren sich
die Menschen schämen, so wie sie sich unwürdiger Vorfahren und frevlerischer
Verwandter schämen. Aufruhr aber ist ansteckend, kann Unzufriedenheit schüren,
von der es immer mancherlei gibt, er sieht nach Heldentum aus und ist
vielleicht auch Heldentum, denn er bedeutet Widerstand und Widerspruch, er bietet
ein schönes Bild, denn er wird getragen von Schwärmern, die für schöne Worte
sterben, die alles aufs Spiel setzen, denn all ihr Gut ist unsicher. Darum lockt
es, so wie dem Menschen zuweilen alles Gefährliche verlockend und schön
erscheint.
Der Vater stand mitten im Zimmer, er
hatte die Tür geöffnet und wartete.
Ich wußte, was zu tun sich gehörte:
zu ihm treten und ihn umarmen, ohne einen Augenblick des Betrachtens und
Zögerns. So würde alles zwischen uns auf die einfachste und beste Art gelöst,
so würde ich alle Knoten entwirren, meine und seine, und dann könnten wir uns
verhalten wie Vater und Sohn. Aber schwer war es, diesem grauhaarigen Mann, der
nicht umsonst mitten im Zimmer stand, vor dieser Begegnung sich fürchtend, die
Hände entgegenzustrecken und ihn zu umarmen. Beide waren wir verwirrt, wußten
nicht, wie wir uns verhalten, was wir einander sagen sollten, zwischen damals,
als ich ihn das letztemal gesehen hatte, und heute
Weitere Kostenlose Bücher