Der Derwisch und der Tod
zufälligen guten
Willen, fremder Macht preisgegeben – nichts hängt von ihm ab, nicht einmal der
Ausdruck von Furcht oder Haß, der ihn verderben kann. Unter diesem glanzlosen
Blick, der mich kaum wahrnahm, hörte ich auf, ein gutes Wort oder Gnade zu
erwarten, nur noch den Wunsch, zu gehen, hatte ich, mochte alles enden, wie
Allah es wollte.
Endlich begann der Muselim zu
sprechen, doch es war mir schon gleichgültig, unbewegt sprach er, so wie er
geschwiegen hatte, in vielen Jahren an diese Haltung der Undurchdringlichkeit
und der strengen Verachtung gewöhnt, und auch das war mir gleichgültig.
Allmählich würgte mich der Ekel.
„Dein Bruder, sagst du?
Eingesperrt?"
Ich blickte durchs Fenster, das
Feuer draußen war erloschen, nur Rauch schleppte sich über die Čaršija
hin, träge, schwarz. Schade, daß es nicht alles vernichtet hatte.
„Weißt du, warum er eingesperrt
ist?"
„Ich bin gekommen, danach zu
fragen."
„Siehst du, du weißt nicht einmal,
warum er eingesperrt ist. Aber du kommst, für ihn zu bitten, ganz gleich, was
er getan hat."
„Ich bin nicht gekommen, um zu
bitten."
„Willst du ihn beschuldigen?"
„Nein."
„Kannst du Zeugen für ihn oder gegen
ihn bringen? Hinweise auf andere Schuldige geben? Oder Mittäter?"
„Nein."
„Was willst du dann?"
Er sprach lässig, ließ sich Zeit,
wandte den Kopf zur Seite, als sei er gekränkt, als finde er es lästig, so
klare Dinge erklären zu müssen, die Zeit mit einem unvernünftigen Menschen zu
verlieren.
Mich überwältigte die Scham. Wegen
der Furcht, wegen der feigen Selbstsucht, wegen seiner Verachtung, wegen seines
Rechtes grob zu sein, wegen des Verdrusses, den er nicht verbarg, deswegen,
weil er mich erniedrigte, weil er mit mir umging wie mit einem Lastenträger,
einem Schuljungen, einem gefangenen Feind. Ich war es gewöhnt zuzuhören, keine
Einwände zu erheben, den Kopf zu senken, selbst daß ich nach meinem Bruder
gefragt hatte, war mir beinahe schon als Verbrechen erschienen, aber die rohe
Rücksichtslosigkeit dieses harten Menschen, vielleicht aber noch mehr seine
rüpelhafte Unverschämtheit erstickte in mir die alte Gewohnheit. Ich spürte,
daß ich grün wurde vor Haß, obgleich ich wußte, daß er mir nichts nützte. Ihm
war es gleich, mir nicht, er wollte es ja so, er trachtete danach, ja er
trachtete nicht einmal danach, die Menschenverachtung drang wie von selbst aus
ihm hervor. Ich weiß nicht, warum es ihm darauf ankam, sich Feinde zu schaffen,
es berührte mich auch nicht, wie aber durfte er es wagen, sich mir gegenüber so
zu benehmen? Noch immer ließ ich mich täuschen von dem Gedanken an die Bedeutung
des Ordens und des Standes, dem ich angehörte.
Die Menschen leben still, aber
plötzlich trifft sie der Tod, so hatte jener wunderliche Viehhändler, Hasan,
gesagt, der nie etwas überstürzen und auch nie durch Unbedachtheit Schaden
haben würde. Auch ich hatte freilich geglaubt, vor inneren Überraschungen
sicher zu sein.
„Was ich will?" erwiderte ich,
und ich wunderte mich über mich selbst und wußte wohl, daß es nicht gut war, so
zu sprechen. „Das hättest du nicht sagen sollen. Ist es ein
Verbrechen, sich nach seinem Bruder zu erkundigen, was immer er getan haben
mag! Es ist meine Pflicht, nach göttlichen wie nach menschlichen Gesetzen,
jeder könnte mich anspucken, wenn ich mich gegen dieses Recht taub stellte. Und
alle wären wir anzuspucken, wenn dieses Recht bestritten würde. Sind wir Tiere
geworden – oder schlimmer als Tiere?"
„Deine Worte wiegen schwer",
sprach er darauf, seine Ruhe vollkommen bewahrend, nur daß er die schweren
Lider zu einem schmalen Spalt zusammenkniff. „Auf wessen Seite ist das Recht?
Du verteidigst den Bruder, ich das Gesetz. Das Gesetz ist streng, ihm diene
ich."
„Wenn das Gesetz streng ist, müssen
wir deshalb zu Wölfen werden?"
„Was ist wölfisch: das Gesetz
verteidigen oder es anfallen – wie du?"
Ich wollte sagen, es sei wölfisch,
hart zu sein um jeden Preis. Den Menschen trifft das Unglück plötzlich. Gut
war es, daß ich auf seine Herausforderung nichts antwortete, er fühlte das
Bedürfnis und hatte seine Freude daran, die Menschen unbedacht zu machen.
Später fühlte ich mich
niedergedrückt, mein Zorn war rasch verflogen, an seine Stelle trat die Reue
über das jähe Auffahren, das mir sonst nicht eigen war. Ich hatte schroff
geantwortet, denn allzu gespannt war alles in mir gewesen, ich hatte die
unbedachten Aufwallungen nicht zu
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