Der Diamant des Salomon
gab es bereits einige Diamantenhändler-Klubs, die sich diverser Probleme der Industrie annahmen. Außerdem waren gerade die erfolgreichen Händler ausgeprägte Individualisten, die sich einer neuen Organisation nicht unterordnen wollten, und bei dem Treffen war niemand, der die Überzeugungskraft oder den Machthunger derjenigen besessen hätte, die damals die vielen verschiedenen Minen zum De-Beers-Konzern verschmolzen hatten.
Kaum einer der Teilnehmer des Treffens schien darüber enttäuscht, daß das Treffen seinen eigentlichen Zweck verfehlt hatte. Schließlich bot es Gelegenheit, geruhsam das eine oder andere Geschäft zu tätigen, und Alfred konnte sich lange mit drei seiner Verwandten unterhalten, die aus der Tschechoslowakei zu dem Treffen angereist waren.
Seinen Cousin Ludvik, den er Laibel nannte, mochte er besonders; mit ihm hatte er vor Jahren als Lehrling in Amsterdam ein Zimmer geteilt. Ludviks jüngerer Bruder Karel, den Alfred kaum kannte, zeigte sich tief beeindruckt von Alfreds konservativem Nadelstreifenanzug, seinen Gamaschen aus Kitzleder, seinen dezent glänzenden Schuhen und der Blume, die er sich täglich frisch ins Knopfloch steckte. Martin Voticky, Alfreds Onkel, fühlte sich geschmeichelt, als beim Essen mehrere Leute an ihrem Tisch stehen blieben und dem jungen Händler aus Deutschland die Hand schüttelten. Einer dieser Männer war Paolo Luzzatti von Sidney Luzzatti & Söhne in Neapel.
Als Alfred später an diesem Tag allein die »Beurs voor Diamenthandel«, die Antwerpener Diamantenbörse, verließ, winkte Luzzatti ihm zu. »Können wir uns unterhalten?«
Sie fanden ein ruhiges Café in der Pelikaanstraat. Luzzattis Deutsch war ungelenk, Alfreds Italienisch war noch schlechter, also sprachen sie Jiddisch miteinander.
»Sie könnten meiner Firma einen großen Dienst erweisen«, sagte Luzzatti. »Man hat uns gebeten, einen sehr seltenen Stein zu untersuchen und aufzupolieren.«
»Ich habe in meiner Werkstatt ein paar Leute, die so etwas können«, sagte Alfred.
Luzzatti blickte ihn amüsiert an. »Das möchte ich meinen. Wir haben natürlich auch solche Leute. Aber es handelt sich hier um ein unersetzliches Stück, das heruntergefallen ist und dabei möglicherweise beschädigt wurde. Ich spreche vom Diamanten der Inquisition und von der Tiara, in die er eingearbeitet ist.«
»Meine Familie hatte viel mit diesem Stein zu tun«, setzte Alfred aufgeregt an, aber Luzzatti ließ ihn nicht weitersprechen.
»Das wissen wir. Auch deshalb haben wir bei dieser Geschichte an Sie gedacht. Außerdem wissen wir, daß Sie beim Syndikat in Südafrika gute Arbeit geleistet haben. Sie müßten eigentlich in der Lage sein, Schäden in einem großen Stein feststellen zu können.«
»Das kann ich mit Sicherheit. Du meine Güte, Geschäfte mit dem Vatikan!« Alfred pfiff leise durch die Zähne.
»Ja.«
Der Gedanke hatte etwas Aufregendes. »Wann kann ich den Stein sehen? Soll ich von hier aus direkt nach Rom fahren?«
»Aber nein, nein! Das ist eine äußerst delikate Angelegenheit. Mein Gott, eine jüdische Firma und die katholische Kirche! Sie wissen doch, wie schwerfällig solche Institutionen sind. Ich weiß nicht einmal, wann sie uns den Diamanten geben werden.«
Alfred zuckte mit den Achseln. »Wenn sie ihn haben, dann lassen Sie es mich wissen.«
Luzzatti nickte. Er winkte den Kellner herbei und bestellte frischen Kaffee.
»Sagen Sie mal, Hauptmann, wie gefällt Ihnen eigentlich das Leben in Berlin?«
»Es ist die aufregendste Stadt der Welt«, antwortete Alfred.
Berlin war Alfred Hauptmanns Geburtsstadt; hier hatte er in einem häßlichen grauen Haus am Kurfürstendamm seine Jugend verbracht. Im Alter von vierzehn Jahren hatte er es voller Schmerz und Angst, drei Tage nachdem seine Eltern beide auf einer Geschäftsreise nach Wien bei einem Hotelbrand ums Leben gekommen waren, für immer verlassen. Sein Onkel Martin, der nach Prag gezogen war und dessen Namen Voticky auf tschechisch Hauptmann bedeutete, war als Nachlaßverwalter angereist und Alfred fremd und bedrohlich vorgekommen.
»Wenn du willst, kannst du bei uns in Prag wohnen«, sagte Voticky damals. »Oder würdest du gerne auf ein Internat gehen?«
Alfred traf genau die falsche Wahl.
Weil sein Onkel unangenehme Erinnerungen an deutsche Gymnasien hatte, schickte er Alfred nach Genf auf eine teure Schule, deren Schüler die Geisteshaltung ihrer Eltern widerspiegelten. Während dieser Zeit in der Schweiz mußte Alfred sich
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