Der Diamant des Salomon
daran gewöhnen, daß er seinen Namen nur noch hörte, wenn er in der Klasse aufgerufen wurde oder wenn er am Abend mit einem Jungen namens Pinn Ngau, einem Chinesen, der der zweite Unberührbare an der Schule war, Schach spielte. Aber selbst Pinn nannte Alfred, wenn er mit anderen über ihn sprach, nur le Juif, den Juden.
Nach drei Jahren fürchterlicher Einsamkeit machte Alfred sein Abitur. Von der Schule nahm er – außer daß er fließend Französisch sprechen konnte – den Entschluß mit, auf ein Universitätsstudium zu verzichten, um sich nicht noch einmal einer ähnlichen Demütigung auszusetzen. Als sein Onkel ihm vorschlug, zusammen mit seinem Cousin Ludvik in Amsterdam eine Lehre bei einem Diamantenschleifer zu machen, willigte Alfred begeistert ein.
Die folgenden Jahre waren die glücklichsten in seinem bisherigen Leben. Ludvik wurde schnell zu Laibel, dem Bruder, den Alfred nie gehabt hatte. Zu zweit bewohnten sie eine enge Mansarde über der Prinsengracht, drei Gebäude entfernt von einer Windmühle, deren unablässiges Quietschen sie zuerst nachts keinen Schlaf finden ließ, ihnen aber bald zu einem vertrauten Gutenachtlied wurde.
Fast ebensoschnell, wie sie sich an die Windmühle gewöhnten, lernten sie auch Hollands Schnaps, die Frauen und geräucherten Hering schätzen, der hier »booking« hieß. Weil sie aber an chronischem Geld- und Zeitmangel litten, war der Hering meist das einzige, was sie sich leisten konnten. Jeden Tag, außer Sonntag, mußten sie auf dem technischen Institut, das Martin Voticky wegen seines hohen Unterrichtsniveaus für sie ausgesucht hatte, Mathematik und optische Gesetze lernen, danach verbrachten sie viele Stunden an ihren Arbeitstischen in einem der ältesten Diamantenhäuser der Stadt, wo sie mit sämtlichen Edelmetallen und einer großen Auswahl an Steinen arbeiten lernten.
Beide wußten sie, daß sie niemals berühmte Diamantenschleifer werden würden, aber als sie nach vier Jahren Amsterdam wieder verließen, hatten sie ein profundes technisches Wissen, das ihnen später als Diamantenhändler von unschätzbarem Wert sein würde.
Laibel ging zurück nach Prag ins Geschäft seines Vaters.
Martin Voticky hätte auch für seinen Neffen einen Platz in seiner Firma geschaffen, aber Alfred überraschte ihn damit, daß er seinen eigenen Weg gehen wollte. Er bewarb sich für eine Stelle beim Diamanten-Syndikat, und als er ein paar Wochen später seine Stelle in Kimberley in Südafrika antrat, fühlte er sich wie ein Abenteuer suchender Globetrotter.
Die Stadt lag inmitten einer flachen Ebene und war um die Überreste der alten Kimberley Mine herum entstanden. In prähistorischer Zeit war hier flüssige Lava an die Erdoberfläche getreten und zu schwarzem Gestein erstarrt. Bald hatten Bergleute herausgefunden, daß man in der blauen Erde einer solchen pipe große Diamanten entdecken konnte, aber zu der Zeit, als Alfred nach Kimberley kam, waren die Vorkommen längst erschöpft. Zwischen 1871 und 1914 waren dort drei Tonnen Diamanten – 14504567 Karat – geschürft worden, und alles, was noch von der Mine übriggeblieben war, war ein gähnendes, tausend Meter tiefes Loch von gut fünfhundert Metern Durchmesser, das »Big Hole« genannt wurde und an dessen Boden zweihundert Meter hoch das Wasser stand. Das Loch war eingezäunt, und Alfred vermied den Anblick, sooft er konnte.
Weil er fließend Französisch sprach, wurde Alfred einer Holding-Gesellschaft namens Compagnie Française de Diamant zugeteilt, wo er Rohdiamanten sortieren, klassifizieren und beurteilen mußte. Hier arbeitete er tagtäglich mit Leuten, die in der inneren Struktur eines Kristalls lesen konnten wie andere in einem Buch. Bei dieser Arbeit hatte Alfred es mit einem großen Spektrum von verunreinigten Diamanten zu tun; er mußte entscheiden, welche durch Schleifen verbessert, welche als Schmucksteine gerettet und welche nur noch für industrielle Zwecke verwendet werden konnten. Er lernte viel und wurde gut bezahlt, aber er haßte die Atmosphäre und die Rassendiskriminierung, die er fast täglich beobachten mußte.
Obwohl Alfred die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme einsah, konnte er sich nicht daran gewöhnen, daß Männer mit Taschenlampen sämtliche Körperöffnungen anderer Männer nach gestohlenen Edelsteinen absuchen mußten.
Als sein zweijähriger Vertrag auslief, wurde Alfred zum Direktor der Compagnie Française zitiert und gefragt, ob er seinen Aufenthalt in Südafrika nicht
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