Der Diamant des Salomon
Wilhelmstraße. Der Hausb e sitzer hieß Doktor Bernhard Silberstein und war ein pensionierter Arzt mit weißem Haar und Bart, einem chronischen H usten und vom Nikotin gelbgefärbten Fingern. Seine Gattin, eine dicke und ge mütliche alte Frau, be st and darauf, daß Alfred jeden Freitag mit ihnen zu Abend aß, um sich s o auf den Sabbat vorzubereiten.
»Aber ich bin nicht religiö s «, stam m elte Alfred und war so peinlich berührt, daß er sogar vergaß, sich für die Einladung zu bedanken.
»Gut, dann kommen Sie eben am Mittwoch«, sagte Frau Silberstein und duldete keine weiteren Einwände. Als er das erste Mal kam, gab es in Scheiben geschnittene Gänseleber mit Grieben als Vorspeise, danach wurde der Vogel sel bs t aufg e tisc h t, gef ü llt m it Äpf e ln u nd einer knusprigen, braungebratenen Haut, wie Alfred sie liebte. Dazu gab es Kartoffelknödel und Rotkraut. Die Nachspeise war ein w armer Apfel-Nuß-Strudel, der so gut war, daß Alfred direkt seufzen mußte.
»Spielen Sie Schach?« fragte der Doktor.
»Ich habe lange nicht mehr gespielt.«
»Das verlernt man nie«, meinte Dr. Silberstein und nahm die schwarzen Figuren.
»Warum sind Sie eigentlich nach Deutschland zurückgekommen?«
»Ich liebe B erlin. Schon seit Jahren habe ich davon geträumt, wieder hier zu leben.«
»Die Leute hier hassen die Juden«, erwiderte Dr. Silber s t e i n l e ise.
»Das tun die Leute doch überall.«
»Aber mein lieber junger Mann, Sie wissen doch, wer Walther Rathenau war, oder?«
»Natürlich. Der Außenminister, der ermordet wurde.«
»Es gab da ein Freikorps-Lied, das ging so: K nallt ab den W alther Rathenau, die gottverfluchte Judensau! Wi s sen Sie, wer die Nazis sind? Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei?«
»Nein, ich interes s iere mich nicht für Politik.«
»Das ist eine Splitter p art e i. Abschaum. Sie wollen die Juden aus Deutschland vertreiben.«
»Und wie hat diese Partei bei den letzten Wahlen abgeschnitten?«
»Erbärmlich. Im ganzen Reich hat sie nur 280000 Stimmen bekommen.«
»Na also«, sagte Alfred.
Das Kaufhaus Wertheim am Leipziger Platz war ein fürstlicher Einkaufstempel aus Marmor und Kristall. Es hatte dreiundachtzig Aufzüge, Rohrpostleitungen von mehreren Kilometern Länge und etliche, mit Kacheln aus der ehemals kai se rlic h en P o rzellan m anufaktur ausgekleidete Zierbrunnen. Nun baute ein Architekt namens Erich Mendelsohn im Auftrag der Pelzhändlerfamilie Herpich ein weiteres elegantes Warenhaus an der Leipziger Straße. Alfred sah zu, wie es err i chtet wurde. Mendelsohn verwendete fast ausschließlich Glas für die Fassade, eine unerhörte, bisher noch nie dagewesene Neuheit.
Zwei junge Männer aus dem Büro des Architekten erklärten Alfred auf seine Anfrage hin enthusiastisch, was alles neu an diesem Projekt war. Unter anderem würden die Waren auf eine ganz andere Art als bisher zur Schau gestellt werden, indem auch nachts gut verborgene elektrische Lampen das gesamte Innere von Herpichs Kaufhaus strahlend hell erleuchteten.
Das brachte Alfred auf eine Idee.
Ein paar H äuser weiter befand sich ein Gebäude, aus dem eben ein Schuhgeschäft ausgezogen war. Alfred trat mit dem Besitzer des H auses in Kontakt, der eine unverschämt hohe Miete für den Laden verlangte.
»Ich werde sie bezahlen, wenn Sie ein paar Änderungen an dem Haus vornehmen lassen.«
Der Besitzer hörte zu und erklärte sich schließlich m it Alfreds Vorschlägen einverstanden.
Während der Laden renoviert wurde, ließ A lfred sich einen Schnurrbart wachsen. Onkel Martin schickte ihm Empfehlungsschreiben an verschiedene Hersteller preisgünstiger U hren und billigen Goldschmucks, der sich gut verkaufen ließ. Aber anstatt diese Schreiben zu verwenden, schrieb Alfred selber ein paar Briefe und rief eine Nummer in London an. Er hatte seine eigenen, wohldurchdachten und präzisen Vorstellungen von den Sachen, die er in seinem Laden verkau f en w ollte. Einer von Alfreds Briefen ging an das Syndikat, wo seine Kühnheit einen der leitenden Manager auf ihn aufmerksam machte, der prompt Erkundigungen über Alfred einzog, wozu er nur in den Unterlagen seines eigenen Konzerns nachsehen mußte. Er schrieb Alfred zurück, daß das Syndikat ihn leider nicht beliefern könne, dafür aber schicke er ihm die Adressen von ein paar Großhändlern in Mitteleur o pa, denen er schriftlich mitgeteilt habe, De Beers empfehle ihnen, Herrn Alfred Hauptmann auf Kredit zu beliefern. Und s o war
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