Der Dieb der Finsternis
Iblis’ Puzzle in der Hand. Solange sich in ihrem Besitz befand, was Iblis haben wollte, würde er den beiden kein Haar krümmen.
KC stieg aus dem Bett und ging zum Fenster. Sie öffnete die Lade und blickte hinunter auf die Straßen, auf denen bereits die Hast des frühen Morgens herrschte: Fußgänger eilten schnellen Schrittes zu den Moscheen; Händler bauten ihre Verkaufsstände auf. Istanbul erwachte.
KC stellte sich vor die Badezimmertür und drückte ihre von der Nacht zerzauste blonde Mähne gegen den Türpfosten. »Guten Morgen«, rief sie, lächelte und rieb sich den restlichen Schlaf aus den Augen.
KC bückte sich, hob ihr Höschen und ihren Büstenhalter auf. Sie wusste nicht mehr, wann sie zum letzten Mal nackt geschlafen hatte. Sie setzte sich aufs Bett und kleidete sich an, als ihr mit einem Mal klar wurde, dass sie keine Antwort aus dem Badezimmer bekam. Es lief auch kein Wasser. KC hörte nichts, was darauf schließen ließ, dass Michael sich rasierte oder duschte.
Noch einmal ging KC zur Badezimmertür. »Michael?«, rief sie, dieses Mal lauter.
Wieder keine Antwort. Sie klopfte dreimal hintereinander, aber es tat sich immer noch nichts. Sie versuchte, die Klinke herunterzudrücken. Zu ihrem Erstaunen öffnete die Tür sich sofort.
Das Bad war unbenutzt und leer.
KC rannte zum Bett. Sie war bereits in heller Panik, noch bevor sie den Volant hob, der bis zum Boden reichte.
Die lederne Transportrolle mit dem Hermesstab war verschwunden.
30.
M it einem Mineralwasser in der Hand saß Cindy auf dem Sofa. Im Fernsehen lief ein Programm des Financial News Networks. Cindy hatte kein Auge zugetan. Ihre Gedanken waren die ganze Nacht gekreist und hatten sie entweder mit Furcht oder mit Zorn erfüllt. Um fünf Uhr früh hatte sie geduscht. Obwohl sie inzwischen seit zwei Tagen die gleichen Kleidungsstücke trug, tat sie ihr Möglichstes, um wenigstens einigermaßen anständig auszusehen.
Simon lag auf der Pritsche. Cindy wusste nicht genau, ob er bewusstlos war oder schlief. In der Nacht hatte er immer wieder vor sich hin gemurmelt und sich von einer Seite auf die andere gewälzt, aber die Augen hatte er noch nicht geöffnet. Sie stand auf und beugte sich über ihn. Seine Kopfwunde hatte inzwischen eine dunklere Farbe angenommen und schwoll immer weiter an. Cindy befürchtete, dass er vor ihren Augen sterben würde, wenn er nicht bald medizinisch versorgt wurde. Sie schaute auf die Infusion; sie tröpfelte nur langsam, und was immer in der Flasche war, schien lediglich dem Zweck zu dienen, Simon mit ausreichend Flüssigkeit zu versorgen.
Cindy drehte den Infusionsbehälter herum in der Erwartung, auf dem Behälter etwas von einer hundertprozentigen Kochsalzlösung zu lesen; aber da stand etwas ganz anderes. Der Tropf, der Simon vor dem Austrocknen bewahrte, enthielt Benzodiazepine, einen Tranquilizer. Iblis verhinderte mit allen Mitteln, dass Simon zu sich kam.
Als Cindy auf Simon hinunterblickte, fragte sie sich, inwieweit sein Zustand eine Folge der Kopfverletzung war und inwieweit dieser Zustand durch das Medikament verursacht wurde, das ihm in die Venen tropfte.
Cindy vernahm ein leises Drehgeräusch, das sich anhörte wie die Rotation eines Kreisels. Es kam aus Richtung der Tresortür. Iblis kam.
Wieder schaute sie auf Simon. Er war in einem erbärmlichen Zustand, aber wenn er wenigstens wach war, konnte er vielleicht einen Weg finden, sie hier herauszuschaffen. Cindy hörte, wie die Räder des Tresorschlosses entriegelt wurden.
Mit einer flinken Bewegung griff sie nach Simons linkem Arm und hob das Pflaster, unter dem die Infusionsnadel versteckt lag. Sie zog die dünne Metallröhre aus der Vene und verbog die Spitze, wodurch der Infusionsfluss auf das absolute Minimum reduziert wurde.
Nach wie vor drangen zischende Drehgeräusche von der Tresortür in den Raum. Cindy wusste, dass ihr nur noch Sekunden blieben.
Sie legte die verbogene Nadel flach auf Simons Haut und klebte das Pflaster wieder fest auf seinen Arm.
Die riesige Tresortür gab einen klickenden Laut von sich und schwang auf. Iblis kam ins Zimmer. Er trug immer noch die schwarze Smokinghose und das Smokinghemd, aber kein Jackett und keine Fliege mehr.
Als er Cindy neben Simon stehen sah, legte er die lange Lederröhre, die er in der Hand hielt, auf den kleinen Kartentisch, ging zu dem bewusstlosen Simon und beugte sich über ihn. Dann blickte er kurz zu Cindy auf und taxierte auch sie mit seinen blauen
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