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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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Sie benutzten erlesene Materialien, denn Kosten spielten keine Rolle. Mit Fertigstellung des Topkapi-Serails im Jahre 1465 hatte das Osmanische Reich den ersten Schritt getan, den einstigen Glanz Konstantinopels wiederherzustellen.
    Durch seinen asymmetrischen Baustil unterschied sich der Topkapi-Palast sehr von den europäischen Palästen. Obwohl er riesengroß war, bestand Topkapi aus vielen kleineren, miteinander verbundenen Gebäuden, die angenehmere Wohnmöglichkeiten boten als die riesigen Säle und Kammern seiner europäischen Gegenstücke. Der Gebäudekomplex dehnte sich nicht um einen zentralen Mittelpunkt aus, sondern erstreckte sich auf verschiedenen Tangenten in sämtliche Richtungen.
    Der Grundriss basierte auf einer konzentrischen Bauweise, bei der vier Höfe ineinander übergingen – eine Architektur, die aus dem Zeitalter Konstantinopels stammte und von den Architekten vieler europäischer Schlösser übernommen wurde, weil sie dem regierenden Monarchen eine viel bessere Befestigungsanlage verschaffte und somit mehr Schutz boten. Der erste Hof des Topkapi-Palasts, den man auch »Hof der Janitscharen« nannte, war eine gigantische Parkanlage, zu der Museen, Kirchen und idyllische Gärten gehörten.
    Michael und KC gingen an der Hagia Eirene vorüber, der byzantinischen Irenenkirche, die auch unter der Bezeichnung »Kirche des göttlichen Friedens« bekannt war. Sie war im sechsten Jahrhundert erbaut worden und eine der wenigen Kirchen, die nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen nicht in eine Moschee umgewandelt worden war. Ihr Weg führte Michael und KC an der Kaiserlichen Münze vorbei; dann stiegen sie unter den Kronen majestätischer Zypressen einen breiten Gehweg hinauf.
    KC verschwand in einem flachen Ziegelhäuschen und kam mit Eintrittskarten in der Hand wieder zum Vorschein. Sie zeigte auf einen kunstvoll verzierten römischen Marmorbrunnen, der sich in einer Ecke verbarg. »Der Brunnen des Henkers. Da haben sich die Scharfrichter nach öffentlichen Enthauptungen die Hände gewaschen und ihre Schwerter gesäubert. In die abgeschlagenen Köpfe haben sie Baumwolle und Stroh gestopft und zur Abschreckung auf Marmorpfeiler aufgespießt. Eine Art Strafbank, nur dass die Strafe in diesem Fall ewig währte.«
    »Na, herzlichen Dank.« Michael musste schlucken. »Du bist schon mal hier gewesen?«
    »Dreimal.«
    »Und mich schleppst du hierher, weil …«
    »Nicht, weil mir an deiner Gesellschaft liegt.« KC grinste. »Ich muss mir zwei Dinge ansehen.«
    »Aber du sagtest doch, dass du schon dreimal hier gewesen bist.«
    »Ja. Aber das war, bevor ich den Brief gesehen habe.«
    »Was stand in dem Brief?«
    »Sieh mal an! Ich wusste, dass ich dich neugierig machen kann.«
    Sie schlenderten über einen Parkweg, der von Bäumen gesäumt war und auf ein gewaltiges Tor zuführte, das aussah, als hätte man es aus einer deutschen Burg importiert. Gut zwanzig Meter hohe, achteckige Türme standen zu beiden Seiten des Bogenportals aus Granit. Das Mittelstück krönten Zinnen, und die gewölbte Toröffnung sah aus, als verberge sie eine Zugbrücke. Das alles passte überhaupt nicht zur gewohnten Architektur im osmanischen Stil.
    Als Michael und KC unter goldenen arabischen Schriftzeichen durch den Torbogen schritten, hatte das einundzwanzigste Jahrhundert sie wieder. Vor ihnen tat sich eine Sicherheitsschleuse auf, an der Wachen vor Scannern, Drehkreuzen und Metalldetektoren standen. Mit einem freundlichen Nicken zeigte KC die beiden Eintrittskarten vor. Sie und Michael wurden durch die Ganzkörperscanner geschleust.
    Als sie das eigentliche Palastgelände des Topkapi-Serails betraten, fühlte Michael sich wieder in die Vergangenheit zurückversetzt. Vor ihm tat sich eine Welt auf, die aus Granit- und Marmorgebäuden, stillen Gärten, gewaltigen Säulengängen und Gehwegen bestand, deren Wände mit aufwendigen Kacheln verziert waren und von kunstvollen Marmorsäulen gestützt wurden. Die Dächer vieler Gebäude zeigten eine stumpfblaue Farbe, die durch die Bleipatina entstanden war, mit der man sie gefirnisst hatte. Schachbrettartige Rundbögen aus rosafarbenem Marmor und weißem Granit akzentuierten die Gebäude. Die Touristen waren hingerissen von ihrer Umgebung und sprachen nur im Flüsterton miteinander, als befänden sie sich in der Gegenwart von Göttern.
    Der Einfluss von Architekten und Kunsthandwerkern aus fernen Ländern hatte zu der sich ständig weiterentwickelnden Struktur des Palasts

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