Der Dienstagabend-Club
Beziehungen zu Leuten in Deutschland hatte. Und das brachte ihn entschieden auf die Liste der Verdächtigen. Er ist zwar einer von meinen Leuten – ein junger Mann, den ich immer gern mochte und dem ich volles Vertrauen schenkte, aber ich muss zugeben, dass er an der Spitze meiner Liste steht.
Aber wer der Schuldige ist, das weiß ich nicht; ich weiß es einfach nicht… und aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich es niemals herausbekommen. Es handelt sich hier nicht in erster Linie darum, einen Mörder zu bestrafen. Es geht um etwas anderes, das mir hundertmal wichtiger erscheint: die Vernichtung der ganzen Karriere eines vielleicht ehrenwerten Mannes… durch einen Verdacht – einen Verdacht, den ich nicht ignorieren darf.«
Miss Marple räusperte sich und sagte sanft:
»Wenn ich Sie richtig verstehe, Sir Henry, ist es nur dieser junge Mr Templeton, um den Sie sich so viel Sorgen machen?«
»In gewissem Sinne, ja. Theoretisch sollte es für alle dasselbe sein, aber in der Praxis verhält es sich anders. Denken wir zum Beispiel einmal an Dobbs. Ich mag gegen ihn Verdacht hegen, aber das hat weiter keinen Einfluss auf seinen Beruf. Niemand im Dorf hat je vermutet, dass der Tod des alten Mr Rosen etwas anderes war als ein Unfall. Gertrud ist ein wenig mehr in Mitleidenschaft gezogen. Greta Rosen wird wahrscheinlich eine andere Einstellung zu ihr haben, aber vielleicht ist das nicht so wichtig für sie.
Und Greta Rosen selbst – na, hier kommen wir zu der eigentlichen Komplikation. Greta ist ein sehr hübsches junges Mädchen und Charles Templeton ein gut aussehender junger Mann. Fünf Monate lang waren sie ohne äußere Ablenkung aufeinander angewiesen. Das Unvermeidliche geschah. Sie verliebten sich ineinander – wenn sie es sich auch noch nicht in Worten eingestanden haben.
Dann kam die Katastrophe. Es ist inzwischen drei Monate her, und ein paar Tage nachdem ich in den Ruhestand getreten war suchte Greta Rosen mich auf. Sie hatte das Häuschen verkauft, die Angelegenheiten ihres Onkels in Ordnung gebracht und war im Begriff, nach Deutschland zurückzukehren. Sie kam zu mir, obwohl sie wusste, dass ich in den Ruhestand getreten war; denn sie wollte eine ganz persönliche Sache mit mir besprechen. Sie ging zunächst wie die Katze um den heißen Brei, aber schließlich packte sie aus. Was ich eigentlich von dem Brief halte – sie habe sich schon die schlimmsten Gedanken darüber gemacht –, sie meine diesen Brief mit der deutschen Marke, den Charles zerrissen habe. Ob das wohl in Ordnung sei? Natürlich musste es nicht mysteriös sein. Selbstverständlich glaube sie seinen Worten, aber – wenn sie doch bloß wüsste! Wenn sie es doch mit Bestimmtheit wüsste!
Sehen Sie? Dasselbe Gefühl: der Wunsch, ihm Vertrauen zu schenken – aber gleichzeitig der unbestimmte, lauernde Verdacht, der, obwohl resolut zurückgedrängt, doch immer wieder zum Vorschein kommt. Ich sprach ganz offen mit ihr über die Angelegenheit und bat sie, dasselbe zu tun. Ich fragte sie, ob sie sich zueinander hingezogen gefühlt hätten.
›Ich glaube wohl‹, erwiderte sie. ›O ja, ich weiß es ganz genau. Wir waren so glücklich. Jeder Tag verlief in Zufriedenheit. Wir wussten es – beide wussten wir es. Wir hatten keine Eile – das ganze Leben lag ja vor uns. Eines Tages würde er es mir schon sagen, dass er mich liebte, und ich würde ihm auch meine Liebe gestehen. Aber jetzt ist alles so anders. Eine schwarze Wolke hat sich zwischen uns gedrängt – wir sind befangen; wenn wir uns begegnen, wissen wir nicht, was wir sagen sollen. Vielleicht ergeht es ihm genauso wie mir – vielleicht sagt jeder von uns: ›Wenn ich nur sicher wäre!‹ Deshalb möchte ich Sie, Sir Henry, bitten, mir zu sagen: ›Wer Ihren Onkel auch getötet haben mag, es war nicht Charles Templeton!‹ Sagen Sie es mir bitte! Oh, sagen Sie es mir doch! Bitte!‹
›Und verflixt nochmal‹«, rief Sir Henry und schlug heftig mit der Faust auf den Tisch, »ich konnte es ihr nicht sagen. Sie werden sich einander immer mehr entfremden, diese beiden – während der Verdacht wie ein Geist zwischen ihnen schwebt, ein Geist, der nicht gebannt werden kann.«
Mit müdem, grauem Gesicht lehnte er sich in seinen Sessel zurück und schüttelte ein paar Mal verzagt den Kopf.
»Und man kann nichts weiter tun, es sei denn« – er richtete sich wieder auf, und ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht –, »es sei denn, Miss Marple kann uns helfen. Wie ist’s, Miss
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