Der Dienstagabend-Club
haben – Erpresser und Terroristen –, Gefährten, die nicht gut für sie sind und durch die sie wahrscheinlich zu einem schlechten Ende kommen wird. Aber, wie Sie schon sagten, man darf seine Gedanken nicht an den Schuldigen verschwenden – die Unschuldigen sind wichtiger. Mr Templeton wird wohl die deutsche Kusine heiraten; das Zerreißen des Briefes sieht mir ein wenig – nun ja, verdächtig aus, aber in einem anderen Sinne, als wir das Wort den ganzen Abend gebraucht haben. Es ist, als fürchtete er, dass das andere Mädchen ihn zu sehen bekommen würde. Ja, ich glaube, es muss ein romantisches Verhältnis zwischen ihnen bestanden haben. Und dann ist da noch Dobbs. Wie Sie schon sagten, wird es für ihn nicht so viel ausmachen. Eine Wurst und ein Glas Wein spielen für ihn wohl eine größere Rolle. Aber Gertrud – das ist schon etwas anderes. Die arme alte Gertrud, die mich an Annie Poultney erinnerte. Arme Annie Poultney. Fünfzig Jahre treu gedient und dann verdächtigt, Miss Lambs Testament beiseite geschafft zu haben, obgleich nichts bewiesen werden konnte. Es brach dem treuen Geschöpf beinahe das Herz, und nach ihrem Tod kam dann das Testament zum Vorschein, und zwar in der Geheimschublade der Teebüchse, wohin die alte Miss Lamb es selbst der Sicherheit wegen gelegt hatte. Aber für die arme Annie kam die Entdeckung zu spät.
Das beunruhigt mich so sehr bei der armen alten deutschen Frau. Im Alter wird man sehr leicht verbittert. Sie tut mir weitaus mehr leid als Mr Templeton, der noch jung ist, gut aussieht und bei den Damen einen Stein im Brett zu haben scheint. Sie werden ihr doch schreiben, Sir Henry, nicht wahr, und ihr sagen, dass ihre Unschuld sich einwandfrei erwiesen hat? Ihr lieber alter Herr tot und sie wahrscheinlich am Grübeln und dazu noch unter der Last des Verdachts, ihn… Oh, der Gedanke ist unerträglich!«
»Ich werde ihr schreiben, Miss Marple«, versprach Sir Henry und sah sie fragend an. »Wissen Sie, ich werde Sie niemals ganz verstehen. Ihre Schlussfolgerungen entsprechen nie meinen Erwartungen.«
»Meine Schlussfolgerungen sind leider sehr begrenzt«, sagte Miss Marple bescheiden. »Ich komme so selten aus St. Mary Mead heraus.«
»Und doch haben Sie ein – man möchte fast sagen – internationales Geheimnis aufgeklärt«, entgegnete Sir Henry. »Denn Ihre Lösung ist richtig. Davon bin ich überzeugt.«
Miss Marple errötete. Dann warf sie den Kopf ein wenig in den Nacken. »Für die Verhältnisse der damaligen Zeit bin ich, nach meinem Dafürhalten, sehr gut erzogen worden. Meine Schwester und ich hatten eine deutsche Erzieherin – ein Fräulein. Ein sehr sentimentales Geschöpf. Sie brachte uns die Blumensprache bei – eine höchst charmante Wissenschaft, die aber heutzutage in Vergessenheit geraten ist. Eine gelbe Tulpe bedeutet, zum Beispiel, hoffnungslose Liebe, während eine chinesische Aster besagt: Ich sterbe zu deinen Füßen aus Eifersucht. Dieser Brief ist mit ›Georgina‹ unterzeichnet, und das bedeutet im Deutschen soviel wie Dahlie. Dadurch wurde das Ganze völlig klar. Ich wollte, ich könnte mich an die Bedeutung der Dahlie erinnern, aber leider komme ich nicht darauf. Mein Gedächtnis lässt nach.«
»Auf jeden Fall bedeutete das Wort nicht Tod.«
»Allerdings nicht. Grässlich, nicht wahr? Es gibt doch sehr viel Trauriges in der Welt.«
»Das stimmt«, pflichtete Mrs Bantry ihr seufzend bei. »Man kann von Glück sagen, dass man Blumen und Freunde hat.«
»Uns nennt sie an zweiter Stelle, wie Sie bemerken«, warf Dr. Lloyd ein.
»Ein Mann schickte mir jeden Abend purpurfarbene Orchideen ins Theater«, erwähnte Jane träumerisch.
»Ich erwarte Ihre Gunst – bedeutet das«, erklärte Miss Marple lebhaft.
Sir Henry bekam einen merkwürdigen Hustenreiz und wandte den Kopf ab.
Plötzlich rief Miss Marple:
»Oh, es ist mir wieder eingefallen. Dahlie bedeutet ›Verrat‹ und ›falsche Angaben‹.«
»Wunderbar«, sagte Sir Henry. »Einfach wunderbar.«
Und er seufzte.
Eine Weihnachtstragödie
» I ch möchte eine Beschwerde vorbringen«, erklärte Sir Henry Clithering.
Mit zwinkernden Augen blickte er sich im Kreise um. Colonel Bantry saß mit ausgestreckten Beinen im Sessel und starrte mit gerunzelter Stirn auf den Kaminsims. Seine Frau blätterte in einem Blumenkatalog. Dr. Lloyd blickte mit offener Bewunderung auf Jane Helier, und diese betrachtete nachdenklich ihre rosafarbenen polierten Fingernägel. Nur Miss Marple saß
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