Der Dienstagabend-Club
Marple? Ich habe nämlich das Gefühl, als ob der Brief gerade das Gegebene für Sie sei. Der mit der kirchlichen Geselligkeit. Erinnert er Sie nicht an jemanden oder an etwas, das die ganze Angelegenheit mit einem Schlage aufklärt? Können Sie nicht zwei hilflosen jungen Menschen zu ihrem Glück verhelfen?«
Hinter seiner scherzenden Art verbarg sich ein gewisser Ernst. Er hatte nämlich eine ziemliche Hochachtung vor dem scharfen Verstand der zarten, ein wenig altmodisch wirkenden Miss Marple gewonnen. Mit hoffnungsvollem Ausdruck blickte er zu ihr hinüber.
Miss Marple räusperte sich und strich ihr Spitzenfichu glatt.
»Er erinnert mich tatsächlich ein wenig an Annie Poultney«, gab sie zu. »Natürlich ist der Brief völlig klar – wenigstens für mich und Mrs Bantry. Ich meine nicht den Brief von dem geselligen Abend, sondern den anderen. Sie, Sir Henry, der Sie so viel in London leben und kein Gärtner sind, haben es wahrscheinlich nicht bemerkt.«
»Wie?«, fragte Sir Henry. »Was habe ich denn nicht bemerkt?«
Mrs Bantry streckte ihre Hand nach einer der beiden Drucksachen aus, schlug den Katalog auf und las voller Eifer daraus vor:
»Dr. Helmut Späth. Reines Lila, eine wunderbar schöne Blüte, auf einem ungewöhnlich langen und steifen Stiel. Herrliche Schnit t blume und sehr dekorativ im Garten. Eine neue Art von auffalle n der Schönheit.
Edgar Jackson. Schön geformte, chrysanthemenartige Blüte von ausgesprochen ziegelroter Farbe.
Arnos Perry. Leuchtend rot, sehr dekorativ.
Tringtau. Ein leuchtendes Orangerot, auffallende Gartenpflanze und eine sich lange haltende Schnittbl u me.
Honesty. Rosa und weiße Schattierungen, seltene und vol l endet geformte Blüte.«
Mrs Bantry warf den Katalog hin und stieß mit gewaltigem Nachdruck hervor:
»Dahlien!«
»Und die Anfangsbuchstaben bilden das Wort ›DEATH‹ – TOD«, erklärte Miss Marple.
»Aber der Brief war doch an Dr. Rosen selbst gerichtet«, wandte Sir Henry ein.
»Das war ja gerade das Schlaue daran«, erwiderte Miss Marple. »Das und die Warnung darin. Was würde Dr. Rosen tun, wenn er einen Brief von einem Unbekannten bekam, der voller Namen steckte, die ihm ebenfalls fremd waren? Ihn natürlich an seinen Sekretär weiterreichen.«
»Dann war es also doch der – «
»O nein!«, sagte Miss Marple. »Nicht der Sekretär. Wenn er es gewesen wäre, hätte er den Brief niemals in Ihre Hände geraten lassen. Ebenso wenig hätte er einen an sich gerichteten Brief mit einer deutschen Marke zerstört. Nein, seine Unschuld – wenn ich mich einmal so ausdrücken darf – strahlt geradezu.«
»Wer ist es aber dann?«
»Nun, es ist ziemlich sicher – so sicher, wie überhaupt etwas in dieser Welt sein kann. Es saß noch eine andere Person am Frühstückstisch, die – was unter den Umständen ganz natürlich war – ihre Hand nach dem Brief ausstrecken und ihn lesen würde. Und damit war die Sache erledigt. Wie Sie sich vielleicht noch erinnern, bekam sie einen Gartenkatalog mit derselben Post – «
»Greta Rosen«, sagte Sir Henry langsam vor sich hin. »Dann war ihr Besuch bei mir also – «
»Männer durchschauen so etwas nicht«, erklärte Miss Marple. »Und ich fürchte, sie halten ältere Damen oft für gehässig und boshaft, weil wir einen Blick für diese Dinge haben. Aber so ist es nun einmal. Man weiß leider sehr viel über sein eigenes Geschlecht. Zweifellos hatte sich eine Schranke zwischen ihnen aufgerichtet. Der junge Mann empfand plötzlich eine unerklärliche Abneigung. Er schöpfte rein instinktiv Verdacht und konnte diesen Verdacht nicht verbergen. Und ich nehme wirklich an, dass das Mädchen seinen Besuch bei Ihnen aus reiner Bosheit machte. Sie war ja eigentlich frei von Verdacht, aber sie tat ein übriges, um Ihren Verdacht mit Bestimmtheit auf den armen Mr Templeton zu lenken. Vor ihrem Besuch war Ihr Verdacht gegen den jungen Mann noch gar nicht so ausgeprägt.«
»Sie hat aber gar nichts gesagt – «, begann Sir Henry.
»Männer«, unterbrach Miss Marple ihn seelenruhig, »durchschauen diese Dinge nicht.«
»Und dieses Mädchen – « Er hielt inne. »Sie begeht einen kaltblütigen Mod und kommt ungestraft davon!«
»O nein, Sir Henry«, widersprach Miss Marple, »nicht ungestraft. Weder Sie noch ich glauben das. Denken Sie doch daran, was Sie vorhin gesagt haben. Nein. Greta Rosen wird ihrer Strafe nicht entgehen. Zunächst einmal muss sie sich mit sehr merkwürdigen Menschen eingelassen
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