Der Dienstagabend-Club
war doch kein Logiergast, nicht wahr?«
»Nein, aber er war an dem Abend zum Essen eingeladen.«
»Oh!«, sagte Miss Marple in verändertem Ton. »Dann liegt die Sache ja ganz anders.«
Sie runzelte die Stirn und schien ärgerlich mit sich selbst.
»Der Punkt, den Sie da vorgebracht haben, Lloyd«, gestand Sir Henry, »macht mir einiges Kopfzerbrechen. Wie sollte der Mörder sich vergewissern, dass das Mädchen allein die verhängnisvolle Dosis bekam?«
»Unmöglich«, erklärte der Doktor. »Das bringt mich zu der Frage, die mich beschäftigt hat: War das Mädchen vielleicht gar nicht das beabsichtigte Opfer?«
»Was sagen Sie da?«
»In allen Fällen von Vergiftungen durch Nahrungsmittel ist das Resultat sehr ungewiss. Mehrere Leute essen das gleiche Gericht. Was geschieht? Einige erkranken leicht, andere sind schwer krank, einer stirbt. Aber es können noch andere Faktoren hinzukommen. Digitalin ist eine Droge, die unmittelbar auf das Herz wirkt. Wie ich Ihnen bereits sagte, wird es in gewissen Fällen verordnet. Nun gab es eine Person im Hause, die an Herzbeschwerden litt. War diese das auserwählte Opfer? Der Mörder sagte sich vielleicht: Was den andern nicht schadet, wird dieser Person zum Verhängnis werden. Dass es anders kam, ist nur ein Beweis für meine soeben aufgestellte Behauptung von der Ungewissheit und Unzuverlässigkeit der Wirkung von Giften auf menschliche Wesen.«
»Sir Ambrose!«, rief Sir Henry. »Glauben Sie etwa, dass man es auf ihn abgesehen hatte? Ja, ja – und der Tod des Mädchens war nur ein Versehen.«
»Wer hätte sein Geld nach seinem Tod geerbt?«, fragte Jane.
»Eine sehr vernünftige Frage, Miss Helier. Eine der ersten, die wir in meinem früheren Beruf immer stellten«, bemerkte Sir Henry.
»Sir Ambrose hatte einen Sohn«, erwiderte Mrs Bantry, »mit dem er sich vor vielen Jahren überworfen hatte. Der junge Mann war wohl etwas wild. Immerhin konnte Sir Ambrose ihn nicht enterben – Clodderham Court war ein unveräußerliches Erblehen. Martin Bercy erbte den Titel und den Grundbesitz. Sir Ambrose hatte aber außerdem noch sehr viel anderes Vermögen, das er hinterlassen konnte, wem er wollte; und dafür setzte er sein Mündel Sylvia als Erbin ein. Ich weiß dies alles, weil Sir Ambrose noch vor Ablauf eines Jahres nach den von mir erwähnten Ereignissen starb und sich nicht die Mühe gemacht hatte, nach Sylvias Tod ein neues Testament aufzusetzen. Ich glaube, das Geld fiel an die Krone oder auch an seinen Sohn als den nächsten Verwandten – daran kann ich mich nicht so genau erinnern.«
»Dann lag es also nur im Interesse seines Sohnes, der nicht zugegen war, und des Mädchens, das selber starb, Sir Ambrose zu töten«, sagte Sir Henry nachdenklich. »Das ist nicht sehr viel versprechend.«
»Wurde der anderen Frau nichts vermacht?«, fragte Jane. »Ich meine die Frau, die Mrs Bantry als ›Spinatwachtel‹ bezeichnet hat.«
»Sie ist im Testament überhaupt nicht erwähnt worden«, erwiderte Mrs Bantry.
»Miss Marple, Sie hören gar nicht zu«, sagte Sir Henry. »Sie scheinen mit Ihren Gedanken ganz woanders zu sein.«
»Ich dachte gerade an den alten Mr Badger, den Apotheker«, entgegnete Miss Marple. »Er hatte eine sehr junge Haushälterin – jung genug, um nicht nur seine Tochter, sondern sogar seine Enkelin sein zu können. Und da waren seine vielen Neffen und Nichten, die ihn zu beerben hofften. Und was meinen Sie, als er starb, da stellte sich doch heraus, dass er seit zwei Jahren heimlich mit ihr verheiratet war. Mr Badger war natürlich nur ein Apotheker und außerdem ein ungeschliffener alter Mann, während Sir Ambrose, wie Mrs Bantry ihn uns schilderte, höchst kultiviert war. Dennoch ist die menschliche Natur überall die gleiche.«
Es trat eine Stille ein. Sir Henry schaute Miss Marple prüfend in die sanften blauen Augen, in denen ein sonderbarer Ausdruck lag.
Jane Helier brach das Schweigen.
»Sah diese Mrs Carpenter eigentlich gut aus?«, fragte sie.
»Ja, wenn sie auch nicht gerade eine auffallende Schönheit war.«
»Sie hatte eine sehr sympathische Stimme«, fügte der Colonel hinzu.
»Ich möchte eher sagen: Sie schnurrte wie ein Kätzchen«, sagte Mrs Bantry.
»Nimm dich in Acht, Dolly, dass man dich nicht eines Tages auch eine Katze nennt.«
»Ich habe im Allgemeinen nicht viel für Frauen übrig, das weißt du doch. Ich ziehe Männer und Blumen vor.«
»Ein ausgezeichneter Geschmack«, meinte Sir Henry. »Besonders, da Sie die
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