Der Distelfink
eigenes Zimmer auf der anderen Seite des Korridors.
Wie die Küche lag mein Zimmer am Luftschacht, und wenn kein Licht brannte, war es dunkel. Ein klammes Badelaken lag zerknüllt da, wo ich es nach dem Duschen an jenem letzten Morgen hingeworfen hatte, auf einem Haufen schmutziger Kleider. Ich hob es auf und verzog das Gesicht, als mir der Geruch in die Nase drang. Ich wollte das Bild damit zudecken, bis ich ein besseres Versteck gefunden hätte, vielleicht im…
» Was machst du da? «
Mein Vater stand in der Tür, eine dunkle Silhouette im Gegenlicht.
» Nichts. «
Er bückte sich und hob die Tasche auf, die ich im Korridor hatte fallen lassen. » Was hat die hier draußen zu suchen? «
» Das ist meine Büchertasche « , sagte ich nach einer kurzen Pause, obwohl es ganz offensichtlich der zusammenfaltbare Einkaufsbeutel irgendeiner Mom war und nichts, was ich oder sonst irgendein Junge mit in die Schule nehmen würde.
Er warf sie durch die offene Tür ins Zimmer und rümpfte die Nase wegen des Geruchs. » Puh. « Er wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht. » Hier drin riecht’s nach alten Hockey-Socken. « Als er neben dem Türrahmen nach dem Lichtschalter tastete, gelang es mir, in einer komplizierten, allerdings auch verkrampften Bewegung das Badetuch über das Bild in meiner Hand zu werfen, sodass er es (hoffentlich) nicht sehen konnte.
» Was hast du denn da? «
» Ein Poster. «
» Na, hör zu, ich hoffe, du hast nicht vor, einen Haufen Müll mit nach Vegas zu schleppen. Deine Wintersachen musst du nicht einpacken, die wirst du nicht brauchen, von ein paar Skisachen abgesehen. Du glaubst gar nicht, wie man in Tahoe Ski laufen kann– ganz was anderes als auf diesen vereisten kleinen Hügeln in Upstate New York. «
Ich hatte das Gefühl, darauf antworten zu müssen, da dies die längste und scheinbar freundlichste Ansprache war, die er mir seit seinem Auftauchen hatte zuteilwerden lassen, aber irgendwie konnte ich meine Gedanken nicht zusammenbringen.
Unvermittelt sagte mein Vater: » Mit deiner Mutter zu leben, war auch nicht so einfach, weißt du. « Er nahm etwas von meinem Schreibtisch, das aussah wie eine alte Mathearbeit, betrachtete es und warf es wieder hin. » Sie hat sich nie in die Karten blicken lassen. Du weißt, wie sie sich benommen hat. Hat einfach dichtgemacht. Mir die kalte Schulter gezeigt. Immer moralisch überlegen. Ein Machtspiel, weißt du– ein Herrschaftsmittel. Ganz ehrlich– und ich sage es wirklich ungern–, es kam so weit, dass es mir schwerfiel, auch nur in einem Zimmer mit ihr zu sein. Ich meine, ich will damit nicht sagen, sie war ein schlechter Mensch. Es ist nur– eben ist noch alles in Ordnung, und im nächsten Augenblick: wumm – was hab ich denn jetzt getan?– werde ich angeschwiegen… «
Ich sagte nichts und stand nur verlegen da mit meinem schimmeligen Handtuch auf dem Bild. Das Licht schien mir in die Augen, und ich wünschte mich woandershin (nach Tibet, an den Lake Tahoe, auf den Mond). Eine Antwort traute ich mir nicht zu. Was er über meine Mutter gesagt hatte, war die reine Wahrheit: Sie war oft unkommunikativ, und wenn sie aufgebracht war, konnte man nur schwer erkennen, was sie dachte. Aber ich hatte kein Interesse an einer Diskussion über die Fehler meiner Mutter. Verglichen mit den Fehlern meines Vaters schienen es mir auch ziemlich geringfügige zu sein.
» … weil ich nichts beweisen muss, verstehst du? « , sagte mein Vater eben. » Jedes Spiel hat zwei Seiten, und es geht nicht darum, wer recht hat und wer unrecht. Und natürlich, ich gebe zu, ich bin auch an einigem schuld, obwohl ich eines sagen muss– und ich bin sicher, das weißt du auch–, nämlich dass sie es fein raushatte, die Geschichte zu ihren Gunsten umzuschreiben. « Es war seltsam, wieder mit ihm in einem Zimmer zu sein, besonders da er jetzt so verändert war. Er verströmte irgendwie einen anderen Geruch, und seine Schwere, sein Gewicht, wirkte anders, irgendwie geschmeidiger, als sei er von oben bis unten mit einer glatten, halbzolldicken Schicht Fett gepolstert. » Vermutlich gibt es solche Probleme in vielen Ehen. Sie war nur so bitter geworden, weißt du? So unzugänglich? Ehrlich, ich hatte einfach nicht das Gefühl, ich könnte noch länger mit ihr zusammenleben, auch wenn sie das nun weiß Gott nicht verdient hat… «
Hat sie nicht, nein, dachte ich.
» Du weißt doch, worum es in Wirklichkeit ging, oder? « Mein Dad lehnte sich mit einem Ellenbogen an
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