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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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organisierte Gangster verdächtigt wurden.
    » Du hättest mir sagen sollen, dass du zwei Gepäckstücke hast « , sagte er mürrisch in die (mir willkommene) Stille hinein, die auf ihre hilfreiche Bemerkung folgte. » Ich weiß nicht, ob das ganze Zeug in den Kofferraum passt. «
    Ich stand am Randstein vor dem offenen Kofferraum des Taxis und war kurz davor, den Koffer bei Mrs. Barbour zu lassen und sie später anzurufen, um ihr zu erzählen, was er enthielt. Aber bevor ich mich vollends entschließen konnte, etwas zu sagen, hatte der breitschultrige russische Taxifahrer Xandras Reisetasche aus dem Kofferraum genommen und meinen Koffer hineingewuchtet, und nach einigem Stoßen und Schieben passte alles.
    » Sehen Sie? Nicht so schwer! « Er schlug den Deckel zu und wischte sich über die Stirn. » Weicher Koffer! «
    » Aber meine Reisetasche! « Xandra geriet in Panik.
    » Kein Problem, Madame. Die kann zu mir auf den Vordersitz. Oder nach hinten zu Ihnen, wenn Sie wollen. «
    » Dann ist ja alles in Ordnung « , sagte Mrs. Barbour. Sie beugte sich zu mir herüber und gab mir rasch einen Kuss– den ersten, seit ich dort war, einen Luftkuss zwischen zwei Ladys beim Lunch, der nach Minze und Gardenien duftete. » Bye-bye, alle miteinander « , sagte sie. » Ich wünsche eine fantastische Reise, ja? « Andy und ich hatten uns schon am Tag zuvor verabschiedet. Ich wusste zwar, dass er traurig über mein Weggehen war, aber ich war doch gekränkt, weil er nicht bis zu meiner Abreise gewartet hatte, sondern mit dem Rest der Familie in das Haus in Maine gefahren war, das er angeblich so sehr verabscheute. Was Mrs. Barbour anging, so schien sie nicht übermäßig betrübt zu sein, mich gehen zu sehen, obwohl mir ganz schlecht war.
    Der Blick ihrer grauen Augen war klar und kühl, als sie mir ins Gesicht schaute. » Vielen Dank, Mrs. Barbour « , sagte ich. » Für alles. Und grüßen Sie Andy noch einmal von mir. «
    » Das werde ich ganz sicher tun « , versprach sie. » Du warst ein schrecklich guter Gast, Theo. « Im Dampfdunst der Morgenhitze auf der Park Avenue hielt ich ihre Hand noch einen Moment länger fest– in der leisen Hoffnung, sie würde mich auffordern, mich bei ihr zu melden, sollte ich irgendetwas brauchen–, aber sie sagte nur: » Dann viel Glück « , und dann gab sie mir noch einen kühlen kleinen Kuss, bevor sie sich zurückzog.
    III
    Dass ich New York verließ, konnte ich noch nicht richtig begreifen. Ich war in meinem ganzen Leben nie länger als acht Tage woanders gewesen. Auf der Fahrt zum Flughafen starrte ich aus dem Autofenster auf die Reklametafeln für Striptease-Clubs und Schadenersatz-Anwälte, die ich wahrscheinlich eine ganze Weile nicht wiedersehen würde, und mir kam ein Gedanke, bei dem es mich eiskalt überlief. Was war mit der Sicherheitskontrolle? Ich war noch nicht oft geflogen (nur zweimal, und einmal war ich noch im Kindergarten gewesen), und ich wusste nicht mal, was zu einer Sicherheitskontrolle gehörte. Röntgenstrahlen? Eine Gepäckdurchsuchung?
    » Machen sie am Flughafen alles auf? « , fragte ich mit schüchterner Stimme, und dann wiederholte ich die Frage, weil mich anscheinend niemand gehört hatte. Ich saß vorn auf dem Beifahrersitz, damit Dad und Xandra hinten ihre romantische Zweisamkeit genießen konnten.
    » O ja « , der Fahrer, ein fleischiger, breitschultriger Sowjet mit groben Gesichtszügen und schweißfeuchten, apfelroten Wangen. Er hatte Ähnlichkeit mit einem fett gewordenen Gewichtheber. » Und was sie nicht aufmachen, röntgen sie. «
    » Auch wenn ich es aufgebe? «
    » O ja « , sagte er beruhigend. » Sie durchsuchen alles nach Sprengstoff. Ist völlig sicher. «
    » Aber… « Ich überlegte, wie ich formulieren sollte, was ich wissen musste, ohne mich zu verraten, doch mir fiel nichts ein.
    » Keine Sorge « , sagte der Fahrer. » Jede Menge Polizei am Flughafen. Und vor drei oder vier Tagen? Straßensperren. «
    » Na, ich kann nur sagen, ich kann’s nicht erwarten, hier wegzukommen, verdammt « , sagte Xandra mit ihrer rauchigen Stimme. Perplex dachte ich einen Moment lang, sie spräche mit mir, aber als ich mich umdrehte, hatte sie sich meinem Dad zugewandt.
    Mein Dad legte ihr die Hand aufs Knie und sagte etwas zu ihr, so leise, dass ich es nicht verstand. Er trug seine getönte Brille, saß entspannt da, sein Kopf rollte auf der Rückenlehne hin und her, und etwas Lockeres, Jugendliches lag in seinem flachen Tonfall, in dem geheimen Etwas,

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